Demokratie & Gerechtigkeit

SLAPPs in Europa: Wie die EU Watchdogs vor missbräuchlichen Klagen schützen kann

In einem neuen Policy Paper erklärt Liberties mit andere Bürgerrechtsorganisationen, warum missbräuchliche Klagen (SLAPPs) gegen Überwachungsorganisationen und Journalisten Europas Demokratie bedrohen und was Regierungen und die EU dagegen tun müssen.

by Linda Ravo

Die Europäische Kommission wird schon bald ihren Vorschlag für EU-weite Maßnahmen gegen SLAPPs vorlegen. In einem neuen Policy Paper, das heute veröffentlicht wurde, erklären Liberties und andere Rechts- und Pressefreiheitsgruppen, die sich in der Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE) zusammengeschlossen haben, was SLAPPs sind, inwieweit sie eine Bedrohung für Watchdogs in Europa darstellen und welche Maßnahmen Regierungen und die EU ergreifen sollten, um das Problem anzugehen.

Zensur durch Prozessführung

Die Bürgerinnen und Bürger sollten die Kontrolle über ihre Demokratien haben. Watchdogs wie Journalistinnen und Journalisten, Menschenrechtler:innen und Aktivist:innen sind unverzichtbar, damit sich die Bürgerinnen und Bürger informieren, ihre Meinung bilden und die Regierenden im Auge behalten können, damit sichergestellt ist, dass diese im Interresse von uns allen handeln.

Wie wir hier bereit erklärt haben, handelt es sich bei SLAPPs (ein Akronym für "strategic lawsuit against public participation") um eine Form des Missbrauchs von Recht und Gesetz, die von Politikern und mächtigen Unternehmen in ganz Europa zunehmend eingesetz wird, um Journalist:innen , Aktivist:innen und andere Beobachter:innen zu schikanieren, in den Ruin zu treiben und einzuschüchtern und zwar immer mit dem Ziel, sie zum schweigen zu bringen. Mit Hilfe von teuren und skrupellosen Anwaltskanzleien verklagen sie sie aufgrund unbegründeter und missbräuchlicher Ansprüche mit dem Ziel, die Beteiligung der Öffentlichkeit zu unterbinden. Betroffen sind davon häufig Journalismus von öffentlichem Interesse, friedliche Proteste oder Boykotte, Interessenvertretung, Whistleblowing oder einfach nur das Aufzeigen von Machtmissbrauch.

Bei diesen missbräuchlichen Klagen geht es gar nicht darum, wirklich Recht durchzusetzen, sondern darum, Ressourcen zu erschöpfen, den Ruf zu schädigen und das persönliche Leben der Betroffenen zu zerstören. Wie Matthew Caruana Galizia, der Sohn der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, gegenüber Liberties erklärte, können SLAPPs das Leben "absolut unmöglich" machen. Als Daphne ermordet wurde, waren 47 Verleumdungsklagen gegen sie anhängig, von denen sich viele auch nach ihrem Tod gegen ihre Familie hinziehen.

Die nachteiligen Auswirkungen von SLAPPs beschränken sich nicht nur auf die individuellen Rechte derjenigen, gegen die sie gerichtet sind. SLAPPs schwächen die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit, indem sie die Ausübung grundlegender Rechte wie Rede-, Protest- und Vereinigungsfreiheit behindern und das Rechtssystem pervertieren. Indem SLAPPs Gesetze verzerren und öffentliche Kontrollinstanzen ("Watchdogs") daran hindern, ihre Arbeit zu tun, behindern sie die Durchsetzung des Rechts, einschließlich der EU-Vorschriften. Die von ihnen ausgehende Gefahr betrifft die Gesellschaft als Ganzes: Um nicht zur Zielscheibe zu werden, werden andere davon absehen, Missstände zu untersuchen und aufzudecken und sich zu Fragen von öffentlichem Interesse zu äußern. Das Ergebnis ist, dass SLAPPs eine abschreckende Wirkung auf die demokratische Debatte haben.

Unterstütze unsere Arbeit zum Schutz vor SLAPP-Klagen Donate

SLAPPs sind in der EU auf dem Vormarsch

Als Teil eines globalen Trends nimmt der Einsatz von SLAPPs, mit denen Watchdogorganisationen in der EU eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht werden sollen, immer mehr zu.

Bisher hat ein unzureichendes Bewusstsein für das Thema eine regelmäßige und umfassende Erfassung von SLAPPs und ihren Auswirkungen in der EU verhindert. Trotzdem konnten Organisationen der Zivilgesellschaft, wie Liberties, in den letzten Jahren eine steigende Zahl von SLAPP-Klagen oder deren Androhung aufdecken. Um die Informationslücke zu schließen, sammelte CASE zwischen 2019 und 2021 Daten von seinen Mitgliedern und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen über offensichtliche SLAPPs, die zwischen 2010 und 2021 angestrengt wurden. Ein vollständiger Bericht wird in Kürze veröffentlicht. Die wichtigsten Ergebnisse dieser von der Daphne Caruana Galizia Foundation geleiteten Bestandsaufnahme werden in dem heute veröffentlichten Policy Paper vorgestellt.

Die wichtigsten vorläufigen Ergebnisse

  • 539 verifizierte SLAPP-Fälle in ganz Europa, wobei Malta, Slowenien, Kroatien und Irland an der Spitze der Liste stehen und mehr als jeder zehnte Fall grenzüberschreitend ist.
  • Die Bestandsaufnahme zeigt einen starken Anstieg der eingereichten Fälle in den letzten vier Jahren, insbesondere in Kroatien, Italien und Polen.
  • Die Daten deuten darauf hin, dass das Verleumdungsrecht das häufigste Mittel für SLAPPs ist. Sie zeigen aber auch, dass andere Gesetze missbraucht werden können, darunter die EU-Datenschutzgesetze und die Bestimmungen zum geistigen Eigentum.
  • Mehr als die Hälfte der registrierten Fälle richtete sich gegen Journalist:innen und Medien, gefolgt von Aktivist:innen und NGOs, wobei die Bereiche Kriminalität, Umwelt und Korruption besonders betroffen waren.
  • Die häufigsten Kläger in SLAPP-Fällen sind Unternehmen und Geschäftsleute (mehr als jeder dritte Fall), gefolgt von Politikern oder Personen des öffentlichen Dienstes (fast jeder vierte Fall).

Die hier dargestellte CASE-Kartierung ist der bisher umfassendste Versuch, SLAPPs in ganz Europa zu erfassen. Allerdings ist zu beachten, dass der Abschreckungseffekt, den solche Klagen haben, jeden Versuch ihrer Erfassung von vornherein erschwert: Viele Opfer von SLAPPs ziehen es vor, aus Angst vor weiteren Vergeltungsmaßnahmen oder Rufschädigung nicht auf ihren Fall aufmerksam zu machen. Außerdem spiegeln SLAPPs, die vor Gericht landen, nicht die breiteren, heimtückischeren Muster rechtlicher Einschüchterung wider, wie z. B. den Einsatz aggressiver juristischer Drohungen. So besorgniserregend es auch ist, die gesammelten Informationen stellen nur die "Spitze des Eisbergs" dar.

Es bedarf ehrgeiziger Maßnahmen und die EU muss eine Schlüsselrolle spielen

Da sie durch ihre nationalen Verfassungen sowie die internationalen und regionalen Menschenrechtsinstrumente (einschließlich der EU-Verträge) zur Achtung und zum Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gezwungen sind, stehen die Regierungen in der Pflicht, Watchdogs aktiv vor SLAPPs zu schützen. Dennoch sind in keinem EU-Land vernünftige Regeln in Kraft, um diesen Missbrauch zu verhindern. Angesichts des Ausmaßes und der Art des Problems hat die EU die Verantwortung zu handeln. Sie ist in einer Schlüsselposition, um sicherzustellen, dass die Regierungen in der gesamten EU konkrete Maßnahmen ergreifen, mit denen SLAPPs unterbunden und bekämpft werden können.

In unserem Strategiepapier fordern wir ehrgeizige Maßnahmen auf nationaler und auf EU-Ebene, um einen wirksamen Schutz gegen die vielfältigen Taktiken von SLAPP-Klägern zu gewährleisten. Dazu gehören:

  • Verfahrens- und andere Schutzmaßnahmen, die in die nationalen Verfahrenssysteme eingebettet werden, um den Beklagten Instrumente an die Hand zu geben, mit denen sich solche Klagen abwenden lassen und die verhindern, dass sie sich über Jahre hinziehen. Außerdem brauchen die Betroffenen Maßnahmen, die sie unterstützen, wenn sie einer solchen Bedrohung ausgesetzt sind. Die Schutzmaßnahmen sollten für Fälle gelten, die sich gegen jede Form der öffentlichen Beteiligung richten (einschließlich friedlicher Proteste, Aktivismus, Whistleblowing und Journalismus) und sowohl auf nationaler als auch auf grenzüberschreitender Ebene eingereicht werden können.
  • Eine EU-Anti-SLAPP-Richtlinie, die Mindestgarantien festlegt und deren Anwendungsbereich so weit wie möglich gefasst werden sollte. Sollte der EU-Gesetzgeber zu dem Schluss kommen, dass sein gesetzgeberisches Eingreifen nur auf SLAPP-Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug beschränkt werden ist, sollte die vorgeschlagene EU-Anti-SLAPP-Richtlinie auf einer breiten Auslegung des Begriffs "grenzüberschreitender Bezug" aufbauen.
  • Andere Maßnahmen, die dazu beitrtagen SLAPPs zu verhindern und die Zielen dienen, die durch eine EU-Empfehlung gefördert und überwacht werden sollen, darunter:
  • Schritte, um Gesetze, die Äußerungen wie Diffamierung, Verleumdung und üble Nachrede unter Strafe stellen, mit internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang zu bringen.
  • Überlegungen, wie das Problem mit Hilfe von Rechtsethik und Berufsstandards angegangen werden kann.
  • Sensibilisierungsinitiativen und Schulungen.
  • Unterstützung von Akteuren, die den Betroffenen Hilfe leisten können.
Liberties hat mit der Koalition CASE zusammengearbeitet, um das Bewusstsein für SLAPPs zu schärfen und gemeinsam setzen wir uns für umfassende Schutzmaßnahmen gegen diese Bedrohung in Europa ein. Nachdem die Europäischen Kommission angekündigt hat, eine EU-Anti-SLAPP-Initiative zu verabschieden, haben Liberties und seine Partner bei CASE unter anderem für ein Anti-SLAPP Mustergesetz geworben, das Du unterstützen kannst, indem Du unsere Online-Petition unterschreibst. Auch das Europäische Parlament hat sich unseren Forderungen jetzt durch eine Resolution zu eigen gemacht.

Das heute veröffentlichte Policy Paper, das als Antwort auf die öffentliche Konsultation auch an die Europäische Kommission geschickt wurde, ist ein weiterer Schritt von Liberties und seinen CASE-Partnern, um die in den kommenden Monaten erwartete Initiative der Kommission zu unterstützen.

Wenn du die weiteren Entwicklungen zu SLAPPs und den damit verbundenen Kampagnen verfolgen willst, freuen wir uns, dich unter unseren neuen Abonnenten zu begrüßen. Wenn du dazu beitragen möchtest, dass wir uns weiterhin für Medienfreiheit und die Rechte von Aktivisten einsetzen können, kannst du auf unserer sicheren Spendenseite einen Beitrag zu unserem Kampagnenfonds leisten.

Lade das Policy Paper hier herunter.



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