Demokratie & Gerechtigkeit

Rechtsstaatlichkeitsbericht 2023: Die Instrumente zur Korruptionsbekämpfung sind zu schwach

Qatargate im Europäischen Parlament, fest verwurzelte Korruption in Ungarn, schutzlose Whistleblower überall. Libeties jährlicher Rechtsstaatlichkeitsbericht zeigt, dass die Maßnahmen der EU auch 2022 nicht ausreichen, um Korruption wirksam zu bekämpfen.

by Jonathan Day

Liberties hat seinen vierten Jahresbericht über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union veröffentlicht. Der Bericht von Liberties, der von 45 Mitglieds- und Partnerorganisationen erstellt wurde, enthält detaillierte Analysen über die Lage der Demokratie, der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit in 18 EU-Mitgliedstaaten.

Der Liberties-Rechtsstaatlichkeitsbericht 2023 ist ein Schattenbericht im Vorfeld der jährlichen Prüfung der Rechtsstaatlichkeit durch die Europäische Kommission, die im Juli veröffentlicht werden soll. Er ist auch ein jährlicher Check-up, der Trends in der Entwicklung von Schlüsselfragen aufzeigt, die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie untermauern. Dazu gehören zum Beispiel das Justizsystem, die Gewaltenteilung, freie Medien, ziviler Raum und Korruption.

Korruptionsbekämpfung stagniert

Der Bericht legt den Finger auf die vielfältigen Bedrohungen für die Demokratie in Europa. Allerdings gibt es nur einen Bereich, in dem kein einziges Land schlechter dasteht als im Jahr 2021: die Korruption. Die Mehrheit der Organisationen konnte in ihrem Land in Bezug auf die Korruptionsbekämpfung keine Veränderung, weder zum Guten noch zum Schlechten, konstatieren.

Natürlikch können wir uns darüber freuen, dass kein Mitgliedsland bei der Korruptionsbekämpfung zurückgefallen ist, aber es gab auch nur ein Land, dass positive Entwicklungen zu vermelden hat: Ungarn, ausgerechnet. Kein Rückschritt ist allerdings auch nicht gerade ein Grund zum Feiern. Der diesjährige Bericht macht deutlich, dass die Regeln und Mechanismen zur Bekämpfung der Korruption in zu vielen Ländern einfach zu schwach sind.

Das ist deshalb so besorgniserregend, weil es für den Erhalt gesunder Demokratien unerlässlich ist, die Korruption auszumerzen. Ohne robuste Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung können korrupte Politiker*innen und ihre Verbündeten aus der Wirtschaft öffentliche Gelder in die eigene Tasche umleiten. Das hat zur Folge, dass weniger Geld für Dinge zur Verfügung steht, die wir dringend brauchen, wie gut ausgestattete Schulen und Krankenhäuser oder ein gut funktionierender öffentlicher Nahverkehr. Und Korruption beeinflusst auch, was wir in den Medien zu sehen oder zu lesen bekommen und wessen Interessen letztendlich Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess haben.

Vertraute Probleme sind geblieben

Ungarn hat seinen Rechtsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Vergleich zu 2021 tatsächlich ausgebaut. Wenn man so tief sinkt, dass es nur noch bergauf gehen kann, ist das natürlich auch nicht gerade lobenswert. Tatsache ist, dass die Korruption in Ungarn immer noch weit verbreitet ist. Die Verbesserung kam in Form eines Gesetzespakets zur Korruptionsbekämpfung, das die Regierung Ende 2022 verabschiedete, um sich die COVID-Rückzahlungsgelder der EU zu sichern. Wie unser ungarisches Mitglied, die Hungarian Civil Liberties Union (HCLU), es ausdrückt, wurden die neuen Vorschriften verabschiedet, "um eine Einigung mit der Europäischen Kommission zu erzielen" und nicht, um die Korruption tatsächlich zu stoppen.

Die HCLU hält die neuen Gesetze bestenfalls für unzureichend aber aller Wahrscheinlichkeit nach für völlig sinnlos. Die Organsisation ist der Auffassung, dass die Verabschiedung von Anti-Korruptionsgesetzen in einem Land mit systemischer Korruption und ohne ein unabhängiges Justizsystem oder rechtliche Garantien "so ist, als würde man einem rückfälligen Kriminellen neue Sachen anziehen und erwarten, dass er dadurch zu einem gesetzestreuen Bürger wird". Auch wenn die Vorlage neuer (wenn auch wahrscheinlich zahnloser) Antikorruptionsgesetze ausreicht, um Ungarn offiziell eine positive Entwicklung zu bescheinigen, ist klar, dass der einzige "Lichtblick" in unserer Übersicht über die Antikorruptionsgesetze der Länder alles andere als ein echter Fortschritt ist.

Es gibt allerdings auch Fortschritte, die zwar weniger umfangreich sind als die ungarischen, die aber eher das Potential haben, positive Veränderungen bewirken zu können. Italien hat einen neuen Anti-Korruptionsplan verabschiedet, ist aber bei der Bekämpfung der Lobby-Korruption und der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie noch nicht vorangekommen. Die Tschechische Republik kündigte zwar an, ein neues Lobbyistenregister einzurichten, um den Einfluss auf die Gesetzgebung im Auge zu behalten, hat aber auch nichts zum Schutz von Whistleblowern unternommen. Glechzeitig schädigen einzelne Korruptionsfälle, in die prominente Personen verwickelt waren - darunter der scheidende Präsident Milos Zeman und der ehemalige Ministerpräsident Andrej Babis -, weiterhin den Ruf des Landes.

Andere Länder haben immer noch mit altbekannten Problemen zu kämpfen und haben in den letzten Jahren wenig oder gar keine Fortschritte gemacht. Das zeigt sich vor allem bei staatlichen Ausschreibungen und Aufträgen: In der Tschechischen Republik und den Niederlanden ist es für die Öffentlichkeit nach wie vor äußerst schwierig herauszufinden, welche Unternehmen die Regierung mit Aufträgen betraut; in Frankreich und Kroatien vergibt die Regierung weiterhin Aufträge an Verbündete aus der Wirtschaft. Außerdem sind die Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung systematisch unterfinanziert - besonders in Belgien und Irland ist dies ein anhaltendes Problem.

Wie hängt Korruption mit anderen dringenden Problemen zusammen?

Der größte Mangel in den untersuchten Ländern ist vermutlich der nach wie vor fehlende Schutz von Whistleblowern, die ein wichtiges Bollwerk gegen Korruption sein können. Die Niederlande und Kroatien haben es versäumt, Whistleblowern das von der EU-Richtlinie geforderte Schutzniveau zu gewähren, während Bulgarien, die Tschechische Republik, Estland, Italien, die Slowakei und Spanien überhaupt keine legislativen Fortschritte zum Schutz von Whistleblowern gemacht haben.

Die Notwendigkeit des Schutzes von Whistleblowern zeigt, wie weit die Korruption auf andere Bereiche wie das Recht auf Information oder die Meinungsfreiheit übergreift. Indem wir das Recht von Whistleblowern, Missstände frei zu melden, und das Recht, diese öffentlich zu machen, angemessen schützen, geben wir ihnen die Möglichkeit, korrupte Handlungen und anderes Fehlverhalten ohne Angst vor Repressalien zu melden.

Das zeigt sich auch bei SLAPPs - (Strategic lawsuits against public participation). Diese missbräuchlichen Klagen werden meist von mächtigen Einzelpersonen oder Unternehmen gegen Enthüllungsjournalist*innen oder andere Watchdogs angestrengt, um sie zum Schweigen zu bringen und ihre Arbeit zu blockieren. Auf diese Weise kann Korruption im Verborgenen bleiben, wodurch der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorenthalten werden und Journalisten und zivilgesellschaftliche Akteure, die sonst Alarm schlagen würden, abgeschreckt werden. Aus den Berichten unserer Partnerorganisationen und Mitglieder in Bulgarien, Deutschland, Estland, Frankreich, Italien, Kroatien, den Niederlanden, Polen, Schweden, Spanien und Ungarn geht hervor, dass SLAPPs nach wie vor ein drängendes Problem in der EU darstellen.

Und es ist bezeichnend, dass die Regierungen, anstatt Watchdogs in ihrem Bemühen zu unterstützen, Korruption und Missstände aufzudecken, stattdessen Hetzkampagnen starten, um sie zu diskreditieren. In Italien zum Beispiel berichten unsere Mitglieds- und Partnerorganisationen, dass verbale Angriffe gegen die Zivilgesellschaft durch Regierungsmitglieder, auch im Zusammenhang mit dem Qatargate-Skandal, den Beginn einer neuen Phase der Kriminalisierung und Diffamierung der Zivilgesellschaft befürchten lassen und ihre Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit untergraben. In Slowenien und Schweden kämpfen gewisse Politiker*innen mit Verleumdungskampagnen gegen zivilgesellschaftliche Akteure, unter anderem indem sie Fehlinformationen verbreiten und haben dafür keinerlei Konsequenzen zu befürchten.

Es muss mehr getan werden, um die Korruption auf allen Ebenen zu bekämpfen

Obwohl sich der Handlungsrahmen zur Korruptionsbekämpfung in keinem der im Liberties Rule of Law Report 2023 untersuchten EU-Länder verschlechtert hat, haben wir diesbezüglich wenig Anlass zur Freude. Im Großen und Ganzen gab es in fast keinem Land wesentliche positive Veränderungen in diesem Bereich. Das einzige Land, IN dem sich überhauptetwas bewegte, nämlich Ungarn, tat dies nur, um sich die EU-Finanzmittel zu sichern, und wir haben allen Grund zu bezweifeln, dass die neuen Vorschriften in der Praxis irgendeinen Wert haben werden. Wir fordern die Europäische Kommission auf, darauf zu bestehen, dass die Mitgliedsstaaten mehr zur Bekämpfung der Korruption tun. Robuste Anti-Korruptionsgesetze sollten in allen Mitgliedsstaaten Priorität haben, ebenso wie die Umsetzung angemessener Gesetze zum Schutz von Whistleblowern und vor missbräuchlichen SLAPP-Klagen.

Um glaubwürdig zu sein und Druck auszuüben, muss die EU auch mit gutem Beispiel vorangehen. Die schockierenden Enthüllungen des Qatargate-Korruptionsskandals, die das Europäische Parlament erschüttern, drohen die Glaubwürdigkeit und das moralische Ansehen der EU zu beschädigen, ohne die es kaum möglich sein wird, die notwendige öffentliche Unterstützung für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit zu gewinnen. Es ist entmutigend mitanzusehen, wie die Diskussionen über Qatargate dazu benutzt werden, die Verschärfung der Maßnahmen gegen Nichtregierungsorganisationen zu rechtfertigen - wobei gut gemeinte Bemühungen Gefahr laufen, versehentlich denjenigen zu helfen, die versuchen, Watchdogs und andere Progressive zum Schweigen zu bringen, anstatt Bestechung und Korruption zu bekämpfen. Die EU muss das Problem im Vorfeld angehen, indem sie eine unabhängige Untersuchung auf der Ebene aller Institutionen einleitet, die Rechenschaftspflicht aller Beteiligten sicherstellt und die Mechanismen stärkt, um ähnliche Praktiken in Zukunft zu verhindern - wie es die Zivilgesellschaft schon lange fordert.

Korruption ist nicht einfach nur Geld, das in den Taschen von Politikern und ihren Freunden verschwindet. Es sind auch unsere unterbesetzten Krankenhäuser, unsere unterfinanzierten Schulen und unsere bröckelnden Straßen. Ohne angemessene Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung ist es uns einfach nicht möglich, die starken, gesunden und freien demokratischen Gesellschaften aufzubauen, die wir uns wünschen.

Ressourcen

Lade den vollständigen Bericht hier herunter.


Weitere Artikel zum Thema:

Governments Continue Weakening Democracy: EU Rule of Law Report By 45 NGOs

Civil Society in 2023: NGOs Still Left Out in the Cold


Länderberichte 2023

Der Bericht stellt die Ergebnisse von 45 Menschenrechtsorganisationen aus 18 EU-Mitgliedstaaten vor, diese sind:

  • League of Human Rights (Belgien),
  • Bulgarian Helsinki Committee (Bulgarien),
  • Centre for Peace Studies (Kroatien),
  • League of Human Rights, Glopolis (Tschechische Republik),
  • Human Rights Center (Estland),
  • Vox Public (Frankreich),
  • the Society for Civil Rights, FragDenStaat, LobbyControl (Deutschland),
  • the Hungarian Civil Liberties Union (Ungarn),
  • the Irish Council for Civil Liberties, Irish Congress of Trade Unions, Trinity College Dublin School of Law, The Immigrant Council of Ireland, Inclusion Ireland, Intersex Ireland, Community Law and Mediation, Justice for Shane, Mercy Law Resource Centre, Irish Penal Reform Trust, The National Union of Journalists, Age Action Ireland, The Irish Network Against Racism, Outhouse, Irish Traveller Movement, Pavee Point, FLAC-Free Legal Advice Centres, Mental Health Reform (Irland),
  • Antigone Association, Italian Coalition for Civil Liberties and Rights (CILD), A Buon Diritto Onlus, Association for Juridical Studies on Immigration or ASGI,Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa (OBCT) (Italien),
  • Human Rights Monitoring Institute (Litauen),
  • Netherlands Helsinki Committee, Free Press Unlimited, Transparency International Nederlands (Niederlande),
  • the Helsinki Foundation for Human Rights (Polen),
  • Apador-CH (Rumänien),
  • Via Iuris (Slowenien),
  • Peace Institute (Slowenien),
  • Rights International Spain (Spanien),
  • Civil Rights Defenders, International Commission of Jurists (Schweden).

Die Erstellung dieses Berichts wurde von der Europäischen Union finanziert.

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