Technologie & Rechte

Gesichtserkennung bei Pride-Parade in Ungarn: Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die EU auf, sich zu Recht und Rechtsstaatlichkeit zu bekennen

In einem offenen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission fordern Liberties, andere zivilgesellschaftliche Organisationen und Interessenverbände aus ganz Europa die Kommission auf, unverzüglich Maßnahmen zum Schutz ihrer Bürger zu ergreifen

by LibertiesEU

Mit der bevorstehenden Pride-Parade in Budapest steht Ungarn im Zentrum eines beunruhigenden Konflikts zwischen nationaler Politik und europäischen Werten. In einem besorgniserregenden Schritt hat die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán ein Gesetzespaket verabschiedet, das LGBTQIA+-Pride-Veranstaltungen verbietet und den Einsatz von Echtzeit-Gesichtserkennungstechnologie zur Identifizierung von Teilnehmern erlaubt. Diese Maßnahmen verletzen nicht nur die Grundrechte aller Pride-Teilnehmer, sondern auch EU-Recht, darunter das kürzlich verabschiedete Gesetz über künstliche Intelligenz.

Nun richten sich alle Augen auf die Europäische Kommission, die unter Druck steht, ihr Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit unter Beweis zu stellen.

Die Technologie der Unterdrückung

Der Einsatz von Gesichtserkennung zur Überwachung von Pride-Veranstaltungen in Ungarn markiert eine besorgniserregende Veränderung in der Art und Weise, wie neue Technologien zur Unterdrückung abweichender Meinungen und zur gezielten Verfolgung marginalisierter Gemeinschaften eingesetzt werden können. Die biometrische Echtzeitüberwachung im öffentlichen Raum ist nach EU-Recht verboten, außer unter ganz bestimmten und eng definierten Umständen, wie beispielsweise zur gezielten Suche nach Opfern schwerer Straftaten oder zur Abwehr unmittelbarer Gefahren. Dies schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, indem es die invasive Überwachung friedlicher Versammlungen normalisiert und die bürgerlichen Freiheiten untergräbt. Wenn hier nicht eingegriffen wird, könnte dies zu einem breiteren Missbrauch von KI in ganz Europa führen und die Privatsphäre, die Meinungsfreiheit und das Recht auf Protest gefährden.

Es steht viel auf dem Spiel. Die von der ungarischen Regierung eingeführten Änderungen, die seit dem 15. April in Kraft sind, erlauben es der Polizei, biometrische Überwachung einzusetzen auf LGBTQIA+ Veranstaltungen, die vormals schon unter dem Vorwand des „Kinderschutzes” einmal verboten wurden. Teilnehmer*innen von solchen können identifiziert werden. Das gleiche Gesetzespaket sieht strenge Strafen für Organisator*innen und Teilnehmer*innen vor, darunter hohe Geldstrafen und mögliche Freiheitsstrafen. Bemerkenswert ist, dass diese Maßnahmen bereits zur Absage von zwei LGBTQIA+-Veranstaltungen in Ungarn genutzt wurden.

Die möglichen Folgen reichen über Ungarn hinaus. Wenn die Kommission nicht handelt, riskiert sie, dass andere Regierungen einem ähnlichen Drehbuch folgen – indem sie KI einsetzen, um abweichende Meinungen zu unterdrücken, Gemeinschaften zu marginalisieren und sich unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit oder Moral den Schutz der EU zu entziehen.

Grundrechte in Gefahr

Das Vorgehen des ungarischen Staates ist ein direkter Angriff auf die Grundwerte der Europäischen Union: Achtung der Menschenrechte, Würde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Der Einsatz von Echtzeit-Gesichtserkennung in diesem Zusammenhang verstößt gegen Artikel 5 des KI-Gesetzes, der solche Praktiken im öffentlichen Raum verbietet, da die Gefahr einer Massenüberwachung und der schädlichen Auswirkungen auf die Grundrechte eindeutig sind.

Das ungarische Anti-LGBTQIA+-Gesetz, das das Verbot von LGBTQIA+-Veranstaltungen in der Öffentlichkeit und den Einsatz biometrischer Überwachung rechtfertigt wurde bereits vom Generalanwalt des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) kritisiert. Nach einer aktuellen Stellungnahme verstößt das Gesetz gegen mehrere Aspekte des EU-Rechts, darunter Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union, der alle Mitgliedstaaten zur Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und der Gleichheit verpflichtet.

Ein lauter Aufruf zum Handeln

In einem offenen Brief an den Präsidenten und die zuständigen Kommissare der Europäischen Kommission fordern Liberties und andere zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsverteidiger und Interessenverbände aus ganz Europa die Kommission zu sofortigen Maßnahmen auf.

Wir fordern

  • Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn wegen der Anwendung verbotener Gesichtserkennungsverfahren im Rahmen des KI-Gesetzes, insbesondere wegen des Verstoßes gegen Artikel 5 des KI-Gesetzes.
  • Die Verabschiedung vorläufiger Maßnahmen in dem laufenden Verfahren gegen Ungarns Anti-LGBTQIA+-Gesetzgebung von 2021, die nun die Rechtsgrundlage für diese Welle der Repression bildet.

Die Kommission sollte außerdem relevante Informationen von den ungarischen Behörden anfordern, deren Antworten auf Auskunftsersuchen unvollständig waren. Sie muss den Forderungen der EU-Agentur für Grundrechte nachkommen, die ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Repressionen geäußert hat.

Eine Bewährungsprobe für die Entschlossenheit Europas

Dieser Fall schafft einen besorgniserregenden Präzedenzfall und zeigt, wie dringend notwendig es ist, die Grundrechte innerhalb der Europäischen Union zu verteidigen. Wenn nichts unternommen wird, könnte dies einen Dominoeffekt auslösen und andere Mitgliedstaaten dazu ermutigen, ähnlich repressive Gesetze zu erlassen.

Das KI-Gesetz wurde als bahnbrechend gefeiert. Es sollte sicherstellen, dass die Entwicklung der KI im Einklang mit den demokratischen Werten steht. Ohne eine konsequente Durchsetzung bleiben seine Versprechen jedoch ohne Substanz. Gleiches gilt für die EU-Grundrechtscharta und alle Garantien, die die Union zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger zu haben behauptet.

Die Budapest Pride-Parade steht kurz bevor. Die Reaktion aus Brüssel wird noch mehr über die Zukunft der Menschenrechte und der demokratischen Rechenschaftspflicht in der gesamten Europäischen Union aussagen.

Die Kommission muss dies ignorieren.

Lesen Sie den offenen Brief hier.

Weitere Ressourcen

Rechtliche Analyse: Neue Gesetze zur biometrischen Überwachung in Ungarn verstoßen gegen die Charta der Grundrechte und das KI-Gesetz

Bildnachweis: Scott Webb Unsplash

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