EU-Beobachtung

Das Veto von PiS & Fidesz entlarvt ihre Machtgier, aber auch ihre Schwäche

Warum sind Fidesz und PiS so vehement gegen die Bindung an die Rechtsstaatlichkeit? Und kann die EU ihr Haushalts- und Korona-Konjunkturpaket auch ohne Polen und Ungarn durchbringen?

by Israel Butler
Flickr / NATO Summit in Warsaw, July 2016

Fünfundzwanzig EU-Regierungen beabsichtigen, den Konditionalitätsmechanismus für Rechtsstaatlichkeit durch Mehrheitsbeschluss anzunehmen. Die ungarische und die polnische Regierung lehnen die Konditionalität jedoch ab und haben im Gegenzug ihr Veto angekündigt gegen den nächsten Siebenjahreshaushalt der EU und das Corona-Konjunkturpaket, mit dem die Union den Ländern bei der Erholung von der Pandemie helfen will.

Warum sind Fidesz und PiS so entschieden gegen die Konditionalität?

Weil sie es sich nicht leisten können, EU-Gelder zu verlieren, und weil sie sich weigern, die Demontage der Rechtsstaatlichkeit zu stoppen. Seit ihrer Machtübernahme haben die Regierungsparteien in Ungarn und Polen alles dafür getan, die Gesetze und Institutionen, die die Grundlage für eine funktionierende Demokratie bilden, zu demontieren. Sie wollen an der Macht bleiben und es anderen schwer machen, sie abzusetzen.

Für Ungarns Fidesz ist Machterhalt ein Mittel, um öffentliche Gelder zu stehlen. Die Regierung vergibt fette öffentliche Aufträge an Freunde, Familie und Verbündete in der Geschäftswelt als Gegenleistung für Schmiergelder und ihre Loyalität. Für die polnische PiS scheint Machterhalt vor allem ein Mittel zu sein, um eine ultrakonservative Sozialpolitik zu betreiben.

Um ihre Macht zu erhalten und zu festigen, treiben beide Regierungen einen ähnlichen Plan voran: Kontrolle der öffentlichen Meinung und Beseitigung rechtlicher Hindernisse für ihre Agenda. Sie haben dies in unterschiedlichem Maße durch die Übernahme der Medien und der Justiz sowie durch Maßnahmen zur Unterdrückung von Rechts- und Demokratiegruppen erreicht. Dies hat es ihnen ermöglicht, die öffentliche Meinung zu verzerren, öffentliche Kritik zum Schweigen zu bringen und die Fähigkeit der Öffentlichkeit, sich zu organisieren, um abweichende Meinungen zu äußern, zu verringern. Dieses Vorgehen hat es den Regierungen auch erlaubt, Feindbilder aufzubauen (wie Migranten, LGBTQI-Personen und Feministinnen), die angeblich nur sie bekämpfen können.

Die Absicht der EU, den Zugang zu EU-Fördermitteln an die Achtung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, nimmt Fidesz und PiS den Wind aus den Segeln, denn der Schlüssel zu ihrer Agenda liegt in der Kontrolle über die Gerichte. Der Schlüssel zur Rechtsstaatlichkeit sind dagegen unabhängige Gerichte, welche genau die Rechte und Institutionen aufrechterhalten, die Fidesz und PiS unbedingt aufheben wollen.

Fidesz und PiS wissen, dass sie wahrscheinlich mit einem künftigen Konditionalitätsmechanismus in Konflikt geraten werden, da sie sich derzeit im Verfahren nach Artikel 7 befinden, und das können sie sich weder wirtschaftlich noch politisch leisten.


Es stehen Milliarden an EU-Fördermitteln auf dem Spiel. Dies ist der Schlüssel zu ihrer Wirtschaft und insbesondere zu Fidesz' Korruptionsgeschäften. Wird der Konditionalitätsmechanismus aktiviert, fließen die EU-Gelder nicht mehr - ganz oder zumindest teilweise. Die Regierung ist verpflichtet, bereits vereinbarte Projekte eigenständig weiter zu finanzieren. Um zu vermeiden, dass die Bürgerinnen und Bürger in Not geraten, kann die EU Gelder auch direkt an die Endbegünstigten auszahlen, anstatt über die Regierung, was der normale Kanal wäre. Für Fidesz und PiS bedeutet Konditionalität, einen wirtschaftlichen Schlag hinzunehmen, der ihre Wähler verärgern könnte, Geld zu verlieren, das Korruption finanziert, und/oder die Kontrolle darüber zu verlieren, wie das Geld in ihrem Hinterhof ausgegeben wird.

Der Widerstand von PiS und Fidesz gegen den Konditionalitätsmechanismus zeigt einmal mehr, dass ihr Hauptinteresse im eigenen Machterhalt liegt. Es geht ihnen nicht darum, im Interesse ihrer Bürger zu regieren, sonst wären sie nicht so sehr daran interessiert, die öffentliche Meinung zu manipulieren und die Gerichte zu übernehmen. Ihre erklärte Absicht, ein Veto gegen das Corona-Rettungspaket einzulegen, zeigt, dass sie so verzweifelt an der Macht festhalten wollen, dass sie sogar bereit wären, die Mittel zur finanziellen Unterstützung der einfachen Leute in ganz Europa zu blockieren.

Wie geht es weiter?

Deutschland ist als derzeitiger EU-Ratsvorsitz für das Zustandekommen des Abkommens verantwortlich. Merkel mag zwar etwas Einfluss auf den Ungarn Orban haben, aber in der Vergangenheit hat sie gezögert, diesen Einfluss auch zu nutzen. Vielleicht wegen des Interesses der deutschen Autolobby, die Probleme mit ihren Fabriken in Ungarn vermeiden möchte. Es ist der Einfluss ihrer Partei, der dazu beigetragen hat, Fidesz in der EVP - der größten politischen Fraktion der EU - zu halten. Das wiederum hat dazu beigetragen, Orban vor Kritik zu schützen. Und selbst wenn Merkel Orban dazu bringen könnte, seine Meinung zu ändern, wird sie mit der polnischen Regierung wahrscheinlich kein Glück haben, denn die zählt nicht zu ihren politischen Verbündeten.

Der deutschen Ratspräsidentschaft bleiben drei Wege offen, um die Verabschiedung des Konditionalitätsmechanismus voranzutreiben und das neue Haushalts- und Konjunkturpaket zu verabschieden. Erstens: Sie könnte die Haushaltsabstimmung wie geplant vorantreiben und darauf zählen, dass die PiS und Fidesz letztendlich nachgeben. Letztere könnten aufgrund ihrer Abhängigkeit von EU-Geldern nachgeben und darauf hoffen, Wege zu finden, um zu verhindern, dass der Konditionalitätsmechanismus jemals aktiviert wird. Zweitens: Sie könnten über den neuen Haushalt gar nicht erst abstimmen und so zulassen, dass der bestehende 7-Jahres-Haushalt der EU übertragen wird, bis ein Wechsel in der polnischen oder ungarischen Politik oder Führung die Verabschiedung eines neuen Haushalts ermöglicht. Ergänzend könnten dann die anderen 25 EU-Länder untereinander durch einen separaten internationalen Vertrag ein Pandemie-Rettungspaket schnüren. Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, dass sie das Verfahren nach Artikel 7 für Polen und Ungarn beschleunigen und dafür sorgen, dass deren Stimmrechte ausgesetzt werden, damit der Haushalt und das Konjunkturpaket ohne die Stimmen der beiden Länder verabschiedet werden können.

Wie auch immer sich Merkel entscheidet, es ist wichtig, bald voranzukommen, weil Millionen von Europäern auf das Konjunkturpaket für die Pandemie angewiesen sind. Merkel hat sich als unaufhaltsame Kraft erwiesen. Die Angst von PiS und Fidesz vor Konditionalität lässt vermuten, dass sie keine unverrückbaren Hindernisse darstellen.

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