Gemeinsam mit 17 zivilgesellschaftlichen Organisationen fordert Liberties Google und Meta auf, ihrer Pflicht nachzukommen, zivilgesellschaftlichen Diskurs und die Integrität von Wahlen zu wahren. Google und Meta hatten zuvor angekündigt, dass sie nach Inkrafttreten der neuen EU-Verordnung über die Ausrichtung und Transparenz politischer Werbung (TTPA) im Oktober 2025 keine politischen und themenbezogenen Anzeigen mehr in Europa schalten würden. Dies entbindet sie jedoch nicht von ihren Pflichten gemäß dem Digital Services Act und ihrer umfassenderen Verantwortung, den zivilgesellschaftlichen Diskurs zu schützen. Der Zeitpunkt ist natürlich kein Zufall: Beide Unternehmen argumentieren, dass die neuen Standards zu komplex oder zu riskant seien, um sie einzuhalten.
Seit dem 23. September 2025 schaltet YouTube keine politischen Anzeigen mehr. Auf Facebook und Instagram werden die letzten bezahlten politischen Anzeigen spätestens am 10. Oktober 2025 verschwinden.
Was bedeutet das für die nahe Zukunft?
Die niederländischen Parlamentswahlen am 29. Oktober 2025 werden die ersten sein, die unter diesen brandneuen Bedingungen stattfinden, gefolgt von den ungarischen Parlamentswahlen im April 2026. Wir gehen davon aus, dass das Wahlsystem infolge dieser Änderungen weniger transparent und anfälliger für offene und subtile Verzerrungen werden wird.
Als Google im vergangenen Jahr erstmals seinen Rückzug ankündigte, warnten zivilgesellschaftliche Organisationen, dass Meta dadurch eine Quasi-Monopolstellung auf dem Markt für politische Werbung in der EU einnehmen könnte. Eine solche Dominanz wäre für die demokratische Debatte ungesund gewesen. Nun, da sowohl Google als auch Meta sich zurückziehen, ist zwar das Ungleichgewicht beseitigt, aber die Folgen könnten dennoch verheerend sein.
Warum dies für die Demokratie von Bedeutung ist
Beide Unternehmen präsentieren ihre Entscheidung als Maßnahme zur Einhaltung von Vorschriften. Die realen Konsequenzen sind jedoch klar:
- Die Zivilgesellschaft wird mit neuen Hindernissen konfrontiert sein, um sich Gehör zu verschaffen. Die weit gefasste Definition von „Anzeigen zu politischen, wahlbezogenen und sozialen Themen” durch Meta und die restriktiven Regeln von Google dürften legitime zivilgesellschaftliche Kampagnen unterbinden, darunter viele, die nicht in den Geltungsbereich des TTPA fallen. Öffentliche Aufklärungskampagnen, Advocacy-Initiativen und sogar Spendenaufrufe, auf die NGOs für ihr Überleben angewiesen sind, könnten davon betroffen sein. In einigen Ländern sind Wohltätigkeitsorganisationen auf kurze Werbekampagnen angewiesen, um einen Anteil an den prozentualen Zuweisungen der Steuerzahler zu erhalten. Der Verlust des Zugangs zu diesem Instrument würde ihre Fähigkeit, ihre Arbeit zu verrichten, direkt schwächen.
- Die Polarisierung wird sich verschärfen. Politische Werbung mag verschwinden, aber die Algorithmen bleiben. Sowohl Meta als auch Google betreiben Ranking-Systeme, die auf User Aktivitäten beruhen. Diese neigen dazu, spaltende oder sensationelle Inhalte zu verstärken, während vernünftige, faktenbasierte Stimmen, oft von kleineren Parteien oder zivilgesellschaftlichen Akteuren, Schwierigkeiten haben, Gehör zu finden. Politische Inhalte mit Click Köder (die nicht als Werbung gelten) könnten weiterhin verstärkt werden, während sachliche Kampagnen von legitimen Akteuren unter diesen neuen Änderungen Gefahr laufen, blockiert zu werden.
- Es ist unwahrscheinlich, dass die Verantwortlichen sinnvolle Maßnahmen ergreifen werden. Der Digital Services Act (DSA) verpflichtet sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen, Risiken für den zivilgesellschaftlichen Diskurs und Wahlen zu bewerten und zu mindern. Zwar haben beide Unternehmen formell Risikobewertungen durchgeführt, doch mangelt es diesen Maßnahmen bislang an Substanz. Der Rückzug aus dem Markt für politische Werbung ist eine grundlegende Veränderung der Online-Informationslandschaft. Ein Unternehmen, das seine Verantwortung ernst nimmt, sollte eine sinnvolle und transparente Risikobewertung durchführen und klare Maßnahmen zur Risikominderung ergreifen, um zu zeigen, wie es den zivilgesellschaftlichen Diskurs unter diesen neuen Bedingungen schützen will.
Unsere Position
Die Zivilgesellschaft hat sich konsequent gezeigt. Letztes Jahr haben wir bei Liberties den Rückzug von Google kritisiert, dieses Jahr kritisieren wir auch den von Meta. Unser Standpunkt ist nicht, dass hyper-personalisiertes politisches Targeting, also die Art von Überwachungswerbung, die die Privatsphäre und die Demokratie untergräbt, fortgesetzt werden sollte. Es sollte unbedingt abgeschafft werden.
Unsere Sorge ist, dass ein einfaches Vermeiden kein verantwortungsvoller zukunftsweisender Weg ist. Plattformen sollten mit Regulierungsbehörden, Forschern und der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um die TTPA so umzusetzen, dass die demokratische Debatte geschützt wird. Und wenn sie sich entscheiden, sich aus dem Markt für politische Werbung zurückzuziehen, sollten sie dies verantwortungsvoll tun, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen weiterhin in der Lage sein, ihr Publikum zu erreichen. Wir brauchen keine Profilerstellung, aber in vielen Teilen Europas machen diese Plattformen den Löwenanteil des Internets aus. In einem solchen Kontext ist es unerlässlich, dass die Zivilgesellschaft mit potenziellen Unterstützern und denjenigen, denen sie dient, in Kontakt treten kann.
Was muss sich ändern
Wir fordern sowohl Google als auch Meta auf:
- Transparenz darüber zu schaffen, wie ihre Algorithmen politische Inhalte beeinflussen und welche Maßnahmen ergriffen werden, um Voreingenommenheit und Polarisierung zu vermeiden.
- Ihre pauschalen Verbote zu überdenken und nach Möglichkeiten zu suchen, regulierte politische Werbung zuzulassen, die den zivilgesellschaftlichen Diskurs unterstützt, anstatt ihn zu untergraben.
- Sicherzustellen, dass NGOs und andere Akteure weiterhin legitime Advocacy- und Fundraising-Kampagnen ohne willkürliche Einschränkungen durchführen können.
- Sich erneut mit EU-Institutionen, der Zivilgesellschaft und Forschern auszutauschen, um sicherzustellen, dass ihre Richtlinien sowohl dem Wortlaut als auch dem Geist des DSA und des TTPA entsprechen.
Der Weg nach vorn
Die EU hat den weltweit ersten umfassenden Rahmen für die Transparenz politischer Werbung geschaffen. Dieser wird jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn die größten Plattformen sich in gutem Glauben daran beteiligen. Einfach wegzugehen ist nur Dienst nach Vorschrift. Wenn Europa einen öffentlichen Online-Raum will, in dem demokratische Stimmen gehört werden können und nicht nur die lautesten oder jene, die am meisten polarisieren, dann müssen Google und Meta wieder an den Gesprächen teilnehmen.