Technologie & Rechte

Gezielte politische Werbung muss eingeschränkt werden, ein Liberties Policy Paper

In einem neuen Strategiepapier für europäische Entscheidungsträger plädiert Liberties dafür, die Methoden des politischen Online-Targetings auf ein Minimum zu beschränken, um zu gewährleisten, dass Wahlen frei und fair bleiben.

by Eva Simon

Wir nutzen die sozialen Medien und besuchen unsere Instagram-, Facebook- oder Pinterest-Konten, um mit anderen in Kontakt zu treten. Aber wir zahlen einen hohen Preis für die Nutzung dieser Dienste. Online-Plattformen verfolgen jede unserer Bewegungen, erstellen Profile und bieten diese Datensätze Werbetreibenden an. Ihr Geschäftsmodell fußt auf unseren persönlichen Daten.

In der Regel erscheint Werbung in unserem Feed, die mit unseren letzten Suchanfragen, Themen, die wir diskutiert haben, und Beiträgen, die uns gefallen haben, zusammenhängt. Diese Verhaltensdaten sind für Werbetreibende nützlich, um uns als Zielgruppe zu identifizieren. In Wahlkampfzeiten segen wir zum Beispiel viele politische Anzeigen - im Namen von politischen Parteien, bezahlten Influencern oder lokalen Aktivisten. Politische Werbetreibende können Profile nutzen, um Gruppen von Menschen zu unterscheiden, die für eine bestimmte Botschaft empfänglich sind und diesen Menschen höchst personalisierte Appelle zur Unterstützung eines bestimmten Kandidaten oder politischen Vorschlags zukommen lassen.

Targeting-Techniken bieten politischen Akteuren den Vorteil, dass sie uninteressierte Bürgerinnen und Bürger und solche, die die traditionellen Massenmedien ignorieren, erreichen können, was die politische Beteiligung und das Wissen über bestimmte Themen erhöhen kann. Targeting kann aber auch dazu genutzt werden, Wählerinnen und Wähler in die Irre zu führen, zu manipulieren, zu diskriminieren oder zu demobilisieren. Politische Parteien können Targeting-Techniken einsetzen, um verschiedenen Menschen unterschiedliche Dinge zu sagen. Dies ermöglicht den Kandidatinnen und Kandidaten einen doppelten Wahlkampf (sie versprechen verschiedenen Menschen verschiedene Dinge) und kann dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger nur mit Informationen und Argumenten versorgt werden, die ihre eigenen Überzeugungen bestätigen. Anstatt die politische Debatte zu bereichern, werden so Echokammern geschaffen und die Polarisierung verstärkt.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt die Möglichkeit der politischen Parteien, ihre politischen Botschaften an die Öffentlichkeit zu bringen. Gleichzeitig haben Nutzerinnen und Nutzer auch das Recht, ihre eigene Meinung mitzuteilen und Zugang zu den Meinungen anderer Nutzerinnen und Nutzer und Politikerinnen und Politiker zu haben. Andererseits können die Praktiken der politischen Online-Werbung die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, einschließlich des Schutzes persönlicher Daten, der Privatsphäre und des Rechts auf faire Wahlen, untergraben und das Leben von Millionen von Menschen beeinträchtigen.

Gezielte Werbung kann dazu genutzt werden, bestimmte Gruppen zu diskriminieren und ihnen selektiv Informationen vorzuenthalten, was die Marginalisierung und soziale Ausgrenzung verstärken kann. So können zum Beispiel Anzeigen zu Beschäftigung, Wohnen oder Wahlen vor bestimmten Menschen verborgen werden, deren Auswahl auf Alter, Geschlecht, Wohnort oder sensibleren Daten wie ethnischer Zugehörigkeit, politischer und sexueller Orientierung oder ihrem Surfverhalten basiert. Eine Studie von Investigativjournalisten, die Wohnungsanzeigen veröffentlichten und mithilfe der Targeting-Tools von Facebook bestimmte Gruppen wie schwarze Amerikaner, Juden, Mütter von Highschool-Kindern oder Menschen, die sich für Rollstuhlrampen interessieren, ausschlossen, macht deutlich, wohin das führen kann. Sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene müssen die Gesetzgeber die notwendigen Schritte unternehmen, um Menschen vor dem Missbrauch ihrer persönlichen Daten zu schützen oder davor, dass sie aufgrund ihres Verhaltens, z. B. ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Gesundheitszustands, gezielt angesprochen werden.

In unserem Policy Paper konzentrieren wir uns nur auf politische Werbung. Daher beschränken wir unsere Vorschläge auf diesen Bereich.

Liberties setzt sich für eine Beschränkung der Targeting-Methoden auf ein Minimum ein. Wir wollen auch, dass der Gesetzgeber Schutzmaßnahmen einführt, um die Grundrechte der Nutzer/innen zu schützen.

Für Online-Plattformen müssen strenge Transparenzpflichten eingeführt werden. Anzeigenarchive müssen öffentlich zugänglich, leicht zu navigieren und so gestaltet sein, dass sie Recherchen und Analysen erleichtern. Wir setzen uns für einen Mechanismus ein, der vorsieht, dass Online-Plattformen die Anfragen der Nutzer/innen zu ihren Targeting-Methoden, den verarbeiteten Daten und den in der DSGVO festgelegten Rechten beantworten müssen.

Dies sind die ersten Schritte, die notwendig sind, um es unabhängigen Forschenden, den zuständigen Behörden, nationalen Wahlkommissionen, anderen öffentlichen Stellen und Regulierungsbehörden zu ermöglichen, politische Werbung zu überwachen und ihre Auswirkungen auf Demokratie und Grundrechte besser zu verstehen.

Die Datenschutz-Grundverordnung durchsetzen

Die Europäische Kommission und die nationalen Datenschutzbehörden (DSB) müssen die DSGVO konsequent durchsetzen. Die DSGVO hat das Potenzial, die Rechte der in der EU lebenden Menschen zu schützen und den Missbrauch ihrer persönlichen Daten für Werbezwecke zu verhindern. Sie kann "dark Patterns" (fiese Tricks) beseitigen, mit denen Online-Plattformen Nutzer/innen dazu bringen, ihre Daten weiterzugeben, wie z.B. "Ich stimme zu"-Buttons, die Nutzer/innen anklicken, um lästige Pop-ups oder Banner loszuwerden. Vor der Verarbeitung personenbezogener Daten für gezielte Werbung muss die betroffene Person ihr Einverständnis geben. Auch wenn die DSGVO eine solide Grundlage für gültige Zustimmungsanforderungen bietet, schafft die fehlende Durchsetzung Referenzen in Bezug auf neue Gesetze, wie den Digital Services Act (DSA) und den anstehenden Vorschlag für gezielte politische Werbung. Die konsequente Durchsetzung der DSGVO und weiterer Vorschriften würde das derzeitige Machtungleichgewicht zwischen Online-Plattformen und Nutzer/innen korrigieren.

Die Datenschutzvorschriften durch DSA und ePrivacy-Verordnung stärken

Die Kommission und die nationalen Datenschutzbehörden sollten Leitlinien ausarbeiten, um zu klären, wie die DSGVO auf politische Werbung angewendet werden kann. Es ist mittlerweile offensichtlich, dass detailliertere Datenschutzregeln notwendig sind, um eine robuste und universelle Anwendung von datenschutzfreundlichen Werbemethoden zu etablieren. Der Entwurf der ePrivacy-Verordnung oder der Entwurf des Gesetzes über digitale Dienste bietet den europäischen Gesetzgebern die Möglichkeit, die GDPR-Regeln in diesem Bereich zu verfeinern. Darüber hinaus sollte die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern, die Datenschutzbehörden mit den notwendigen Mitteln für die von ihnen erwarteten Aufgaben auszustatten und Möglichkeiten zu prüfen, wie sie die Datenschutzbehörden direkt unterstützen können, z. B. indem sie ihnen Fachwissen und Dienstleistungen zur Verfügung stellen.

Folgenabschätzungen zum Datenschutz und zu den Menschenrechten

Zur Erfüllung ihrer Transparenzverpflichtungen sollten politische Parteien, Interessengruppen und Plattformen verpflichtet werden, für politische Online-Kampagnen auf den entsprechenden Plattformen Datenschutz-Folgenabschätzungen und Menschenrechts-Folgenabschätzungen durchzuführen und zu veröffentlichen. Die nationalen Datenschutzbehörden, die Koordinatoren für digitale Dienste (DSC) und die Wahlgremien müssen die Befugnis erhalten, verbindliche Abhilfemaßnahmen anzuordnen. Hierzu kann auch das Verhängen von Bußgeldern gegen Online-Plattformen und politische Parteien oder Interessengruppen gehören sowie das Weiterleiten der Erkenntnisse der DSPAs und DSCs an die nationalen Wahlkommissionen. Eine gemeinsame Haftung von Plattformen und politischen Parteien könnte sie dazu zwingen, die Regeln zu befolgen.

Nutzerinnen und Nutzer befähigen

Zwischen den Online-Plattformen und denen die sie nutzen, besteht ein großes Machtungleichgewicht. Die Nutzer/innen sollten mehr Kontrolle über ihren Newsfeed und ihre persönlichen Daten im Internet haben. Sie sollten entscheiden dürfen, ob sie gezielte politische Werbung erhalten wollen oder nicht. Dazu sollten die Online-Plattformen in Übereinstimmung mit den EU-Datenschutzbestimmungen über ein Opt-in die ausdrückliche Zustimmung der Nutzer/innen erhalten müssen. Um Pop-up-Müdigkeit vorzubeugen, sollte es Regeln geben, die begrenzen, wie oft Online-Plattformen die Nutzer/innen zum Opt-in auffordern dürfen.

Targeting-Methoden auf ein Minimum beschränken

Die Regulierungsbehörden sollten die Targeting-Methoden einschränken, die Online-Plattformen politischen Werbetreibenden zur Verfügung stellen. Gezielte politische Werbung, die auf beobachteten (z. B. welche Inhalte Nutzer/innen mögen und teilen) und abgeleiteten Daten (Annahmen, die Algorithmen aufgrund der Online-Aktivitäten der Nutzer/innen über deren Präferenzen treffen) basiert, sollte vollständig verboten werden. Neben der Verwendung von Daten aus Opt-In Mechanismen sollte die einzige erlaubte Form des personalisierten Targetings auf relevanten allgemeinen demografischen Daten beruhen, die von den Nutzern zur Verfügung gestellt werden und die nachweislich notwendig sind, um ein größeres demokratisches Engagement der Bürger zu fördern, wie z. B. Daten, die freiwillig über allgemeine Standortdaten, Alter und Sprachpräferenzen geteilt werden.

Helfen Sie uns, Ihre Privatsphäre vor aufdringlicher politischer Werbung zu schützen
Auch hier ist es nur legitim, wenn die betroffene Person einwilligt, dass diese Datensätze für das Targeting verwendet werden. Diese Einschränkung bei der Wahl der Targeting-Kriterien würde die Möglichkeit verringern, dass politische Akteure unterschiedliche Versprechen auf verschiedene homogene Personengruppen zuschneiden und die Wählerschaft manipulieren. Wir glauben stattdessen, dass überwachungsfreie Methoden wie kontextbezogene Werbung immer der bessere Weg sind.

Strenge Durchsetzung der neuen Regeln

Die Regulierung gezielter politischer Werbung ist für eine gesunde demokratische Debatte und faire Wahlen in der EU unerlässlich. Wie wir bei der Datenschutz-Grundverordnung gesehen haben, kommt es darauf an, wie die Regeln durchgesetzt werden. Wir haben die Lektion gelernt, dass Selbstregulierung und freiwillig angewandte Transparenzregeln nicht ausreichen. Wir glauben, dass eine behördliche Aufsicht unabdingbar ist. Datenschutzbehörden, Koordinatoren für digitale Dienste, Wahlbehörden und unabhängige Prüfer sind entscheidend dafür, sinnvolle Mechanismen zu schaffen. Für eine angemessene Aufsicht brauchen wir eine sektorübergreifende Behörde auf europäischer Ebene. Eine Lösung ist das European Digital Services Coordinators Board, ähnlich wie das European Data Protection Board.

Lade das Strategiepapier hier herunter.

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