Demokratie & Gerechtigkeit

Wird Kroatien einen politischen Flüchtling an die Türkei ausliefern?

Kroatiens Justizminister muss sich entscheiden, ob er sich dem Erdogan Regime anbiedern will, oder ob er die Menschenrechte eines Mannes schützt, dessen Auslieferung die Türkei fordert und dem dort sehr wahrscheinlich Folter und Misshandlungen drohen.

by Lovorka Šošić

Weil die Medien ausführlich über das Thema berichteten, konnten wir im vergangenen Monat einen Einblick in den Entscheidungsprozess der kroatischen Institutionen im Fall von Nurettin Oral gewinnen. Dem Kurdische Mann droht die Auslieferung an die Türkei, obwohl ihm die Schweiz einen offiziellen Flüchtlingsstatus gewährt hat.

Dabei handelt es sich nicht um das erste Mal, dass kroatische Gerichte entschieden haben, einen Flüchtling auszuliefern, den andere Länder als Flüchtling anerkannt haben. 2012 entschied ein kroatisches Gericht, die Journalistin Vicdan Özerdem an die Türkei auszuliefern, obwohl sie von dort geflohen war, nachdem sie im Gefängnis gefoltert worden war, weil sie an Demonstrationen teilgenommen hatte. Nach monatelangen, dramatischen Verhandlungen wurde sie schließlich vor der Auslieferung aus der Haft entlassen und konnte zu ihrer Familie nach Deutschland ausreisen.

Seitdem hat die Türkei immer wieder die Auslieferung von Flüchtlingen aus Kroatien beantragt, aber diese Anträge wurden von den kroatischen Gerichten abgelehnt, da sie sich der Verfolgungen und Misshandlungen bewusst waren, der die Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr in die Türkei höchstwahrscheinlich ausgesetzt wären.

Aber bei Nurettin Oral lief es anders. Der Oberste Gerichtshof Kroatiens bestätigte die Entscheidung eines untergeordneten Gerichts, seine Auslieferung zuzulassen, obwohl er seit 13 Jahren als geschützter Flüchtling in der Schweiz lebt, wo er eine Familie und einen Arbeitsplatz hat.

Faktor Schweiz ist 'nicht ausschlaggebend'

Auf Grundlage eines Haftbefehls, in dem Herr Oral beschuldigt wurde, 1999 für die, von der türkischen Regierung zu einer terroristischen Organisation erklärte, Kurdische Arbeiterpartei (PKK) gekämpft zu haben, wurde er im Juli 2018 verhaftet. Genau deshalb hatte die Schweiz vor mehr als einem Jahrzehnt entschieden, Oral den Status eines Flüchtlings zu gewähren. Die dortigen Behörden gingen davon aus, dass es berechtigte Gründe gab, zu befürchten, dass seine Rückkehr in die Türkei sein Leben gefährden könnte und, dass ihm kein faires Verfahren gewährt würde.

Der kroatische Oberste Gerichtshof entschied jedoch, dass der Status von Oral in der Schweiz "nicht entscheidend" sei, weil "die Schweiz kein EU-Mitgliedstaat ist, weshalb der von diesem Land gewährte Flüchtlingsstatus bei der Entscheidung, ob eine Auslieferung aus Kroatien zulässig ist, keine Rolle spielt".

Diese Einschätzung der obersten Justizbehörde des Landes wurde heftig kritisiert. Die rechtliche Verpflichtung Kroatiens, den Flüchtlingsstatus anzuerkennen, beruht auf völkerrechtlichen Verträgen, die dem nationalen Recht übergeordnet sind. Sowohl die Schweiz als auch Kroatien sind Mitglieder des Europarates und damit Vertragsparteien der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs wurde der Fall Oral an den Justizminister übergeben, womit dieser das letzte Wort über seine Auslieferung hat. Da davon auszugehen ist, dass seine Auslieferung dazu führen würde, dass mehrere Grundrechte von Oral verletzt werden, darunter sein Recht auf Leben, das Verbot der Folter und das Recht auf ein faires Verfahren, legte er am 16. Januar beim kroatischen Verfassungsgericht Berufung ein, um eine einstweilige Verfügung gegen seine Auslieferung zu erwirken.

In der Verfassungsbeschwerde werden die oben genannten Rechtsverletzungen aufgeführt. Die Gefahr, in der Türkei Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein, ist ebenso bekannt wie das Fehlen eines ordnungsgemäßen Verfahrens und des Zugangs zu einem fairen Prozess. In der Beschwerde wird auch darauf hingewiesen, dass Kroatien als Mitglied der Europäischen Union die Verpflichtung zur Einhaltung der Regel des "sicheren Drittlandes" hat, nach der es Kroatien verboten wäre, Oral in jedes Land auszuliefern, in dem er unter Verfolgung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung leiden könnte.

Die Türkei schafft die Grundrechte ab

In der Türkei wird Oral beschuldigt, das Verbrechen der "Verletzung der nationalen Einheit und territorialen Integrität" begangen zu haben. Diese Anklage wurde im Rahmen eines Gesetzes von 1991 gegen Terrorismus und terroristische Straftaten erhoben, aber es ist klar, dass die Vorwürfe gegen Oral politischer und nicht terroristischer Natur sind. Wenn man die Beweise gegen Oral im Rahmen der kroatischen Anti-Terror-Gesetze betrachtet, wird deutlich, dass es keinerlei Rechtsgrundlage gibt, die terroristische Anschuldigungen gegen ihn rechtfertigen könnten.

Die aktuelle Situation in der Türkei lässt eine mögliche Auslieferung von Oral noch beunruhigender erscheinen. Seit dem gescheiterten Staatsstreich im Sommer 2016 geht Präsident Recep Tayyip Erdoğan brutal gegen jeden vor, der seiner Herrschaft kritisch gegenübersteht.

Menschenrechtsorganisationen berichten aus der Türkei, dass das Recht auf ein faires Verfahren vollständig ausgehöhlt wurde und, dass Häftlinge von dem Moment an, in dem sie verhaftet werden, systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Dieses Vorgehen richtet sich speziell gegen Mitglieder der PKK, die allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe des Terrorismus beschuldigt werden.

Außerdem hat die türkische Regierung die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesetzt und gleichzeitig Maßnahmen verabschiedet, die die Anwendung von Folter gegen Häftlinge ermöglichen.

Auslieferung vorerst ausgesetzt

Vor diesem Hintergrund hat das kroatische Verfassungsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Auslieferung von Oral erlassen, bis das Gericht den Fall vollständig prüfen und formell über seine Verfassungsbeschwerde entscheiden kann. Entscheidet sich der Verfassungsgerichtshof für eine mündliche Verhandlung, wird der Fall zur erneuten Prüfung an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen. Wird die Auslieferung auch nach einer zweiten Überprüfung aufrechterhalten, so kann der Justizminister die Entscheidung noch überstimmen und die Auslieferung ablehnen. Natürlich braucht der Justizminister nicht auf das Gericht zu warten und könnte bereits jetzt beschließen, das Auslieferungsersuchen abzulehnen, da die Entscheidung letztlich in seinen Händen liegt.

Unterdessen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ende Januar eine Anfrage an Kroatien gerichtet, in der er seine Besorgnis über diesen Fall zum Ausdruck brachte und die kroatische Regierung zu einer Erklärung aufforderte. Medienberichten zufolge hat die kroatische Regierung dem EGMR die angeforderten Informationen zukommen lassen. Der Gerichtshof für Menschenrechte hat erklärt, dass er den Fall erst dann weiter prüfen werde, wenn der Justizminister eine endgültige Entscheidung über die Auslieferung getroffen hat.

Dies wäre nicht der erste Fall, in dem ein Land den internationalen Haftbefehl von Interpol für politische Zwecke missbraucht. Bei ihren Versuchen, Dissidenten über die eigenen Landesgrenzen hinaus zum Schweigen zu bringen, missbraucht die Türkei diesen Mechanismus tatsächlich regelmäßig. Um diesem Problem zu begegnen, hat Interpol neue Mechanismen zur Aufhebung politisch motivierter Haftbefehle eingeführt, aber das hat die Türkei und andere Länder nicht davon abgehalten, weiterhin solche Verhaftungen zu beantragen.

Das Liberties Mitglied the Centre for Peace Studies hat Empfehlungen zu diesem Thema erarbeitet und weist darauf hin, dass Flüchtlinge teilweise nicht einmal wissen, dass ihre Namen auf einem internationalen Haftbefehl steht. Diese Tatsache bedeutet für sie Rechtsunsicherheit und birgt das Risiko, in die Länder zurückkehren zu müssen, in denen ihr Leben und ihre Freiheit gefährdet sind, wenn sie die Länder verlassen, in denen ihnen ursprünglich Schutz gewährt wurde.

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