Die Europäische Kommission hat ihren sechsten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit veröffentlicht. Dieser erscheint jährlich und erstmals unter der Leitung der neuen Kommission, mit Kommissar Michael McGrath. Der Bericht erscheint in einer Zeit globaler Instabilität und zunehmender Rückschritte bei der Rechtsstaatlichkeit in mehreren EU-Mitgliedstaaten.
Ein neues Element des diesjährigen Berichts ist der Fokus auf den Einfluss, den die Rechtstaatlichkeit auf Marktbewegungen hat. Unternehmen brauchen ein transparentes und berechenbares Rechtssystem, um effektiv arbeiten zu können.
Anfang dieses Jahres untersuchte Liberties in seinem eigenen Rechtsstaatlichkeitsbericht die Entwicklung der Mitgliedstaaten und stellte fest, dass eine besorgniserregende Anzahl von ihnen zu einer „demokratischen Rezession” in ganz Europa beiträgt und die Rechtsstaatlichkeit in fast allen Bereichen aktiv untergräbt. Nur zwei Mitgliedstaaten schienen gezielte Verbesserungen vorgenommen zu haben, während eine beträchtliche Anzahl traditionell demokratischer Länder beunruhigende Anzeichen eines Rückgangs aufwiesen.
Der Bericht der Kommission ist in seiner Analyse weniger kritisch, aber Kommissar McGrath räumte ein, dass zwar in vielen Mitgliedstaaten Verbesserungen erzielt wurden, in anderen jedoch weiterhin systemische Probleme bestünden. Er betonte wiederholt, dass dort, wo der Dialog keine Ergebnisse bringe, andere Instrumente in Betracht gezogen werden müssten.
Fast die Hälfte der EU-Empfehlungen wurde nicht umgesetzt
Eine vorläufige Überprüfung der Empfehlungen der Kommission für 2025 zeichnet ein besorgniserregendes Bild: Jahr für Jahr werden dieselben Empfehlungen wiederholt, ohne dass Sanktionen für anhaltende Versäumnisse verhängt werden. Versprechen, Empfehlungen künftig mit dem EU-Haushalt zu verknüpfen, könnten diese Lücken schließen, doch bislang ist ein klarer Zusammenhang zwischen Feststellungen und Durchsetzung nicht erkennbar.
Es werden weiterhin Fortschritte erzielt – allerdings langsam und schrittweise. Nur 57 % der Empfehlungen wurden vollständig oder teilweise umgesetzt (gegenüber 68 % im Vorjahr), wobei diese Zahl auch Fälle mit begrenzten Fortschritten umfasst. Nur acht Empfehlungen (ebenso viele wie im Vorjahr) wurden vollständig umgesetzt: drei in Slowenien, zwei in Tschechien und jeweils eine in Estland, Finnland und Luxemburg.
Im Gegensatz dazu wurden bei 29 Empfehlungen keine Fortschritte erzielt, und bei weiteren 10 gab es keine zusätzlichen Fortschritte. In vielen Fällen spiegelt dies anhaltende Versäumnisse wider. In Ungarn beispielsweise wurden bei sieben von acht Empfehlungen keine Fortschritte erzielt.
Das fehlende Glied
Das fehlende Glied zwischen anhaltenden Versäumnissen und einem Mangel an klaren Maßnahmen der EU ist in einigen Mitgliedstaaten besonders deutlich zu erkennen. In Bulgarien wurden bei vier von sechs Empfehlungen keine oder keine weiteren Fortschritte erzielt. In der Slowakei wurden bei fünf von sieben Empfehlungen keine Fortschritte erzielt. Trotz der kürzlich verabschiedeten Gesetzgebung zur Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Raums in der Slowakei gibt es keine neue Empfehlung zu diesem Thema. Liberties stellte fest, dass beide Länder „bewusste und systematische Anstrengungen unternommen haben, um die Rechtsstaatlichkeit in allen Bereichen zu schwächen“. Dennoch bleibt unklar, wie die nächsten Schritte für Bulgarien und die Slowakei aussehen werden. Es wurden keine rechtsbasierten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Der ehemalige Rechtsstaatlichkeitsrahmen, ein Vorläufer des Verfahrens nach Artikel 7 für systemische Verstöße, ist nicht mehr anwendbar. Was bleibt, ist eine Reihe von Empfehlungen, die nicht zeitgebunden sind und unbegrenzt wiederholt werden können.
Ebenso gibt es keine Differenzierungennvon Empfehlungen, die als „grundlegend“ angesehen werden könnten – also solche, deren Nichtbeachtung das gesamte Rechtsstaatssystem untergraben könnte. Dazu gehören auch systemische Versäumnisse bei der Umsetzung von Urteilen. Belgien beispielsweise hat wiederholt Urteile nicht umgesetzt und strukturelle Probleme, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt wurden, nicht behoben.
Balazs Denes, Geschäftsführer der Civil Liberties Union for Europe (Liberties), sagte:
„Dieser Bericht wird eine Bewährungsprobe für die neue Kommission sein. Die Analyse ist klarer, und mit Daten aus sechs Jahren sind die Trends deutlich erkennbar. Die Umsetzung der Ergebnisse in Maßnahmen bleibt jedoch weiterhin ein Stolperstein. Empfehlungen können nicht einfach Jahr für Jahr wiederholt werden, ohne dass konkrete Konsequenzen folgen. Wie der Rechtsstaatlichkeitsbericht 2025 von Liberties in Bezug auf Polen feststellte, kann die Wiederherstellung demokratischer Standards äußerst schwierig sein, wenn die rechtsstaatlichen Institutionen einmal ausgehöhlt worden sind. Ohne klarere Maßnahmen laufen weitere Länder Gefahr, denselben gefährlichen Weg einzuschlagen.“
Trendanalysen aus dem Rechtsstaatlichkeitsbericht 2025 von Liberties
- EU-Überblick: Demokratischer Wettlauf nach unten, aber auch einige Hoffnungsschimmer
- In Käfigen: Wie die zunehmende Politisierung der öffentlich-rechtlichen Medien und die Unterdrückung von Journalisten die Medienfreiheit in Europa bedrohen
- Die Kosten der Korruption: Wie schwache Aufsicht Fehlverhalten in Europa ermöglicht
- Staaten missachten Menschenrechte und marginalisieren schutzbedürftige Gruppen weiter
- Regierungen sparen, um sich der Rechenschaftspflicht zu entziehen, und setzen Kontrollmechanismen außer Kraft
Lesestoff & Ressourcen
- Laden Sie den vollständigen Bericht „Liberties Rule of Law Report 2025” herunter
- Pressemitteilung: Demokratieverfall verschärft sich, EU-Instrumente zahnlos: Bericht
- Gastbeitrag: Die EU sollte die Leitplanken der Demokratie stärken, bevor es zu spät ist
- Frühere jährliche Berichte zur Rechtsstaatlichkeit: 2024 2023 2022 2021 2020
Bildnachweis: Scott Webb Unsplash