Demokratie & Gerechtigkeit

Drei Dinge, die die EU tun muss, um unsere pandemiegegebeutelten Rechte wiederherzustellen

Europas Demokratien haben in der Pandemie herbe Schläge einstecken müssen, so unser Jahresbericht. Aber es gibt eine gute Nachricht: Die Union verfügt über wirksame Instrumente, um die Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten zu schützen und zu fördern.

by Linda Ravo & Jascha Galaski

Die COVID-19-Pandemie hat unsere Gesellschaft hart getroffen. Die von den Regierungen in der gesamten EU auferlegten Maßnahmen haben die Rechte der Bürger stark eingeschränkt. Die Begrenzung der Anzahl von Menschen, die sich in geschlossenen Räumen versammeln können, ist ein vernünftiges und legitimes Mittel zur Eindämmung der Pandemie. Aber ein pauschales Verbot von Demonstrationen, wie es zum Beispiel in Ungarn gilt, ist unverhältnismäßig und illegal.


Autoritäre Machthaber in Ungarn, Polen und Slowenien nutzen die Pandemie aus, um mehr Macht zu erlangen. Sie haben den Ausnahmezustand genutzt, um im Schnellverfahren und ohne Konsultation der Zivilgesellschaft neue Gesetze zu erlassen. Kritische AktivistInnen und JournalistInnen werden eingeschüchtert, verleumdet und schikaniert. Korrupte Politiker lenkten öffentliche Gelder, die eigentlich zur Unterstützung des Gesundheitssystems gedacht waren, in neue Bahnen, um sich persönlich zu bereichern. Diese und andere besorgniserregende Entwicklungen werden in dem, die gesamte EU abdeckenden Bericht behandelt, der gemeinsam von Liberties und 14 nationalen Mitglieds- und Partnerorganisationen verfasst wurde.

Bürgerrechte nutzen, um das Schiff der Demokratie in die richtige Richtung zu lenken

In Ländern mit starken demokratischen Institutionen ist es wahrscheinlicher, dass die Regierungen Entscheidungen treffen, die dem öffentlichen Interesse entsprechen. Öffentliche Konsultationen und ein offener Dialog führen dazu, dass die Gesetzgeber auf eine Vielzahl von Interessengruppen eingehen. Medienpluralismus und Informationsfreiheit sorgen für mehr Transparenz. Unabhängige Beobachter (Watchdogs) und Bürgerinitiativen stellen sicher, dass Regierungen sich an das Gesetz halten. In Krisenzeiten, wenn Entscheidungen der Regierung das Potenzial haben, Tausende von Menschenleben zu retten oder zu gefährden, ist das besonders wichtig.

Ein starkes und unabhängiges Justizsystem ist eine notwendige Voraussetzung, um Regierungen daran zu hindern, ihre Macht zu missbrauchen. Genau wie Schiedsrichter auf dem Fußballfeld müssen auch Richterinnen und Richter unparteiisch sein, damit das Spiel fair ablaufen kann. In funktionierenden Demokratien waren die Gerichte auch unter Pandemiebedingugen in der Lage, rechtswidrige Entscheidungen der Behörden aufzuheben. Im April 2020 erklärte das höchste deutsche Gericht ein pauschales Aussetzen der Versammlungsfreiheit für verfassungswidrig. Die RichterInnen entschieden, dass lokale Behörden und Gerichte von Fall zu Fall prüfen müssen, ob Einschränkungen des Rechts auf Protest verhältnismäßig sind.

Die Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind Grundrechte, die großen Einfluss auf den Kurs der Pandemiebekämpfung haben können. Die Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Bedenken zu äußern und die Regierungspolitik zu kritisieren. In gesunden Demokratien können die Bürger Druck auf die Regierungen ausüben, um sie dazu zu bewegen, schlechte Gesetzesvorschläge zu ändern oder zurückzunehmen. In Frankreich zum Beispiel legte die Regierung einen neuen Gesetzentwurf vor, der das Recht von Journalisten, über Polizeieinsätze zu berichten, stark eingeschränkt hätte. Landesweite Proteste und heftiger öffentlicher Druck zwangen das französische Parlament, den Gesetzentwurf zu ändern.

Durch die Informationsfreiheit und unser Recht, sich zusammenzuschließen und Vereinigungen zu bilden, wird es für Regierungen schwieriger, wirkungslose oder unverhältnismäßige Maßnahmen zu verhängen. In Kroatien waren es Bürgerrechtsgruppen, die die Öffentlichkeit über die geheimen Absichten der Regierung informierten, die Telefone der Bürger zu überwachen. Als die Medien die Geschichte aufgriffen, musste die Regierung ihre Pläne aufgeben.

Es gibt aber auch Länder, deren Regierungen die Demokratie über Jahre hinweg bewusst geschwächt haben. Folglich gibt es dort jetzt keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern könnten, dass die Machthaber die Pandemie zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Das ist der Punkt, an dem die EU aktiv werden muss.

Was die EU jetzt zum Schutz unserer Rechte unternehmen muss

Die EU verfügt über eine ganze Reihe von Instrumenten, die sie einsetzen kann, um Regierungen daran zu hindern, die Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen. Die Entscheidung der Europäischen Kommission, ab 2020 eine jährliche Prüfung der demokratischen Bilanz der Mitgliedsstaaten durchzuführen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das allein wird autoritäre Populisten nicht davon abhalten, am Stamm der Demokratie zu sägen, und es wird auch andere nicht davon abhalten, denselben Weg einzuschlagen. Es bedarf konkreterer Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Regierungen die im Audit identifizierten Defizite auch angehen. Hier sind drei Empfehlungen.

Erstens muss die EU aufhören, Regierungen, die vorsätzlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angreifen, mit EU-Geldern zu unterstützen. Der im Dezember 2020 verabschiedete Konditionalitätsmechanis zur Rechtsstaatlichkeit hat das Potenzial, einen Wendepunkt zu setzen. Allerdings zögert die Kommission jetzt, ihn auch auszulösen - und damit lässt sie sich wieder einmal vor den Karren eben jener Regierungen spannen, die als erste ins Visier genommen werden müssten. Nachdem sie zunächst für den Mechanismus stimmten, gehen Ungarn und Polen jetzt vor dem EU-Gerichtshof gegen ihn vor. Und obwohl die Kommission zuversichtlich ist, dass der Mechanismus der juristischen Prüfung standhalten wird, hat sie sich darauf eingelassen, ihn nicht anzuwenden, bis der Gerichtshof seine Entscheidung getroffen hat. Bis dahin kann Polens Regierungspartei weiter unabhängige RichterInnen verfolgen und die letzte verbliebene öffentliche Watchdog-Organisation des Landes demontieren. Und Premierminister Viktor Orban kann seinen Feldzug gegen die freie Presse fortsetzen, um den Missbrauch von EU-Geldern im Vorfeld der ungarischen Wahlen 2022 zu vertuschen. Die Untätigkeit der Kommission steht im Widerspruch zu ihrer Verpflichtung, die europäischen Werte zu schützen. Gerade diese Woche hat das Parlament angedroht, die Angelegenheit vor Gericht zu bringen, sollte die Kommission nicht handeln.

Zweitens sollten die EU-Institutionen das EU-Recht effektiver nutzen, um auf Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit zu reagieren. Die Kommission hat die Verantwortung zu handeln, wenn EU-Recht verletzt wird. Sie sollte mutiger sein, wenn es darum geht, EU-Regeln und Prinzipien zu nutzen, um Mitgliedsstaaten vor Gericht zu bringen, wenn diese die Demokratie gefährden. Außerdem sollte die Kommission ihre Befugnis nutzen, neue Gesetze vorzuschlagen, um neue Regeln zu schaffen, die die Lücken füllenkönne, welche durch unzureichende nationale Gesetze entstanden sind. Zum Beispiel könnte sie Regeln vorschlagen, um Staaten zu verpflichten, Medienakteure und Bürgerrechtsgruppen vor missbräuchlichen Klagen (sogenannten SLAPPs) zu schützen.

Drittens sollte die EU unabhängige Beobachter (Watchdogs), wie z.B. Bürgerrechts- und Demokratiegruppen, besser unterstützen. Die Kommission muss sicherstellen, dass die im Rahmen des neuen Fonds für Justiz, Rechte und Werte bereitgestellten Mittel so ausgezahlt werden, dass sie problemlos zu den auf lokaler und nationaler Ebene tätigen Basisgruppen gelangen. Die Kommission und die anderen EU-Institutionen müssen auch im Rahmen der jährlichen Prüfung der Rechtsstaatlichkeit und der Jahresberichte über die Grundrechte Maßnahmen ergreifen, die Menschenrechtsaktivisten und zivilgesellschaftlichen Gruppen in der gesamten EU ein besseres Monitoring ermöglichen und sie vor Angriffen schützen.

Über den Bericht

Der Bericht EU 2020: Demanding on Democracy deckt 14 EU-Länder ab. Es ist die ausführlichste Untersuchung dieser Art durch ein NRO-Netzwerk, die die Entwicklungen im Jahr 2020 abdeckt. Der Bericht wurde von Liberties zusammen mit unseren Mitglieds- und Partnerorganisationen erstellt, um die diesjährige Konsultation der Europäischen Kommission über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der EU zu unterstützen.

Zum gleichen Theama auf Liberties:

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