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Der Kampf eines Mannes, ein Pflegeheim zu verlassen, unterstreicht die gravierenden Mängel des polnischen Rechtsystem beim Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Der Kampf eines Mannes, ein Pflegeheim zu verlassen, unterstreicht die gravierenden Mängel des polnischen Rechtsystem beim Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen.

by Polish Helsinki Foundation for Human Rights
(Image: Randall Pugh)

Jan Nowak * wurde im Dezember 2001 für unmündig erklärt. Einige Wochen später wurde er auf Wunsch seines Bruders, der damals als Vormund tätig war, in ein Pflegeheim eingewiesen.

Nowak widersprach seiner Unterbringung in der Einrichtung, aber die Behörden ignorierten seine Wünsche und erklärten, sein Geisteszustand würde es ihm nicht erlauben, rechtsgültige Entscheidungen über sein Wohlergehen zu treffen.

Aber seine Einweisung wurde weder von einem Gericht genehmigt, obwohl dies eine Voraussetzung im Rahmen des Familien- und Vormundschaftsgesetzes gewesen wäre, noch wurde Nowak einer angemessenen psychiatrischen Beurteilung unterzogen.

Im Laufe der Jahre hat Nowak wiederholt, aber immer wieder erfolglos, das Gericht gebeten, seine Unmündigkeitserlärung abzuändern.

Er konnte das Pflegeheim nicht verlassen, weil das polnische Gesetz keinen Mechanismus für die gerichtliche Überprüfung (von Amts wegen oder auf Antrag) der Institutionalisierung einer Schwerbehinderten Person vorsieht, wenn diese auf Antrag ihres Erziehungsberechtigten eingewiesen wurde.

Urteile

Im Jahr 2012 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Nowaks Einweisung eine Verletzung von Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf persönliche Freiheit) darstellt. Der Fall vor dem EGMR wurde von Anwälten des Strategischen Prozessprogramms der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte (HFHR) betreut.

Trotz dieses Urteils blieb Nowak in seinem Pflegeheim. Der Grund war die Verzögerung des polnischen Parlaments bei der Verabschiedung eines Gesetzes, das die bestehenden fehlerhaften Regelungen ändern sollte, eine Tatsache, über die die HFHR das Ministerkomitee des Europarates in Kenntnis gesetzt hat.

Auch das Urteil des Verfassungsgerichtshofes, vom 28. Juni 2016, welches die Regeln für die Einweisung und die Verlagerung von rechtlich unmündigen Personen für verfassungswidrig erklärte, änderte nichts.

Bemerkenswert ist, dass diese Regeln immer noch in Kraft sind, obwohl die Regierung seit September 2016 an ihrer Anpassung arbeitet.

Im April 2016 änderte ein Regionalgericht den Status von Nowak zu einer „teilweisen Unmündigkeit“, aber dies führte nicht zu seiner sofortigen Entlassung aus dem Pflegeheim.

HFHR greift ein

Im April 2017 schickte die HFHR einen Brief an den Direktor von Nowaks Pflegeheim und informierte ihn, dass Vormünder von teilweise behinderten Personen nicht unabhängig über ihre Institutionalisierung entscheiden können.

Eine teilweise behinderte Person kann in ein Pflegeheim eingewiesen werden, aber erst nach einer Anordnung zur unfreiwilligen Einweisung, die von einem Gericht ausgestellt wird, das nach demselben Verfahren entscheidet wie bei der Einweisung von Personen, die in vollem Umfang in der Lage sind, rechtsverbindliche Entscheidungen zu treffen.

Da in Nowaks Fall keine solche Anordnung erteilt wurde, gab es keine rechtliche Grundlage für seine unfreiwillige Einweisung im Pflegeheim. Wie Nowak die HFHR in einem Brief informierte, durfte er erst nach dieser Intervention das Heim verlassen und zu seiner Familie zurückkehren.

Rechtsverletzungen sind üblich

Anfang Juli 2017 verfasste der Ombudsmann einen Bericht, nachdem der Nationale Präventionsmechanismus gegen Folter Inspektionen von 146 Pflegeheimen durchgeführt hatte.

Der Bericht des Ombudsmanns ergab mehrere systemische Probleme beim Betrieb von Pflegeheimen im Land.

Der Bericht zeigt, dass die bestehenden Regelungen nur die Regeln für die obligatorische Einweisung in ein Pflegeheim regeln, aber nicht, und das ist entscheidend, die Verpflichtung der Verwalter zur regelmäßigen und systematischen Überprüfung der Legitimität der anhaltenden Unterbringung in einer Einrichtung beinhalten.

Ein weiteres Problem, das in dem Bericht genannt wird ist, dass es für die Bewohner schwierig ist, die Anlage zu verlassen, was zu einem stark eingeschränkten Kontakt mit der Außenwelt führt und, dass die Verwendung ihres eigenen Geldes eingeschränkt wird.

Diese Praktiken werden auf verschiedene Weise erzwungen. Mal wird den Bewohner eindringlich geraten, die Anlage nicht zu verlassen, mal werden die Ausgänge verriegelt.

Immer mehr behinderte Menschen

Das ernsteste Problem ist jedoch die Situation der vollständig unmündigen Personen. Obwohl das Verfahren laut Gesetz darauf abzielt, dem Betroffenen zu helfen, sich mit persönlichen Angelegenheiten auseinanderzusetzen, führt es in der Praxis zu einem Verlust jeglicher Autonomie und jeglichen Einflusses auf das eigene Leben.

Das Ausmaß des Phänomens ist besorgniserregend: Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sich die Zahl der vollständig unmündigen Menschen in Polen verdoppelt.

Immer öfter ist der einzige Grund für die Begrenzung der Rechte das Alter einer Person. Im Jahr 2015 wurden fast 14.000 neue Anträge auf Entmündigung gestellt, von denen 9.000 angenommen wurden.

Die Zahl der Pflegeheime wächst auch. Nach Angaben von 2015 gab es in Polen 873 solcher Einrichtungen, 90 mehr als im Vorjahr.

Damit sich Fälle wie der von Jan Nowak nicht wiederholen, muss das Gesetz geändert werden.

* Der Name wurde für diesen Artikel geändert

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