Demokratie & Gerechtigkeit

Polen ignoriert EGMR Urteil - Familie aus Tschetschenien bleibt in Haft

Die HFHR hat das Ministerkomitee des Europarats über die fehlende Umsetzung des EGMR-Urteils in der Rechtssache Bistieva informiert, in welcher es um die Inhaftierung einer tschetschenischen Familie mit Kindern geht.

by Polish Helsinki Foundation for Human Rights
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Im April 2018 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Rechtssache Bistieva and Others v. Poland ein verbindliches Urteil. In dem Fall ging es um eine tschetschenische Familie, die 2013 in Polen erfolglos den Flüchtlingsstatus beantragt hatte. Im Januar 2014 wurden die Mutter und die Kinder im "Bewachten Zentrum für Ausländer" in Kętrzyn inhaftiert. Während ihrer Unterbringung in der Haftanstalt beantragte die Familie wiederholt den Flüchtlingsstatus.

Straßburg: Polen hat die Rechte der Familie verletzt

Der Menschenrechts-Gerichtshof urteilte, dass Polen in Bistieva das Recht der Familie auf Familienleben verletzt hat. Die Verletzung sei darauf zurückzuführen, dass die polnischen Behörden bei der Entscheidung, die Asylbewerber festzuhalten, das Wohl der Kinder nicht berücksichtigt habe. Der Gerichtshof argumentierte, dass die polnischen Behörden den Einsatz von Maßnahmen ohne Freiheitsentzug hätten in Betracht ziehen müssen, denn die Inhaftierung dürfe nur die letzte Möglichkeit sein. Straßburg stellte auch fest, dass die fünf Monate und 20 Tage, in denen die Familie festgehalten wurde, zu lang waren.

Die polnische Regierung behauptet, sie hätte bereits alle Anforderungen erfüllt.

Am 11. April 2019 legte die polnische Regierung dem Ministerkomitee einen Bericht über die Maßnahmen zur Umsetzung des Bistieva-Urteils vor. Dem Bericht zufolge wurden inzwischen Maßnahmen, die anstelle von Einwanderungshaft angewendet werden können, gesetzlich verankert. Polen erklärte auch, dass solche alternativen Maßnahmen häufig angewendet würden und der Inhalt des Urteils des EGMR sei dem Personal der Einwanderungsbehörde mitgeteilt worden. Dementsprechend behauptete die Regierung, sie sei ihren Verpflichtungen zur Vollstreckung des Urteils nachgekommen.

HFHR: "Man kann nicht sagen, dass das Bistieva-Urteil von Polen umgesetzt wurde"

Die HFHR kommentierte diesen Fall in einer Mitteilung, mit der sie sich an das Ministerkomitee des Europarates wendete. In dieser Mitteilung erklärte die Stiftung, die Erfahrungen von Nichtregierungsorganisationen und nationalen Menschenrechtsinstitutionen hätten gezeigt, dass die polnischen Behörden den Grundsatz der Beurteilung des Wohls des Kindes in Einwanderungshaftverfahren nicht angemessen berücksichtigen. Statistiken zeigen, dass 2014-2017 mehr als 1.100 Kinder in bewachten Einwanderungszentren untergebracht wurden. Studien über die Rechtsprechung polnischer Gerichte in Fällen der Inhaftierung von Flüchtlingen zeigen zudem, dass die Gerichte nur selten die individuelle Situation von Kindern beachten. Dementsprechend beschränkt sich die Beurteilung des Kindeswohls durch das Gericht in der Regel auf die Feststellung, diese Interessen seien gewahrt, da das Kind zusammen mit den Eltern in einem "bewachten Zentrum" untergebracht wird. Darüber hinaus verhängen die Gerichte in der Regel eine Einwanderungshaft in der gesetzlich zulässigen Höchstdauer.

"Man kann nicht sagen, dass das Bistieva-Urteil von Polen umgesetzt wurde. Weitere Maßnahmen sind erforderlich, um ähnliche Verstöße zu verhindern", sagte der Anwalt der HFHR, Jacek Białas, der Ausländer in Verfahren vor dem EGMR vertritt. "Der Fall schafft Präzedenzfälle, weil das Urteil des EGMR das einzige Urteil eines internationalen Gremiums über die Inhaftierung von Flüchtlingen mit Kindern ist. Dieses Thema sollte in die Diskussion über die Inhaftierung von Flüchtlingskindern in Polen einbezogen werden, es sollte aber auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung der polnischen Gerichte in Fragen der Inhaftierung von Einwandererkindern haben", schloss Herr Białas.

HFHR gibt klare Empfehlungen

  • Richter und Grenzschutzbeamte sollten eine angemessene Schulung über die Anwendung des Grundsatzes des Kindeswohls und die Rechtsprechung des EGMR in Fällen der Einwanderungshaft von Minderjährigen erhalten.
  • Es sollten Leitlinien für die zu ergreifenden spezifischen Maßnahmen ausgearbeitet werden.
  • Die Gerichte müssen von Fall zu Fall das Wohl des Kindes in allen Fragen der Einwanderungshaft prüfen, einschließlich der Anhörung der betroffenen Kinder und von Experten.
  • Alle Gerichtsentscheidungen, eine Familie in ein bewachtes Zentrum zu bringen, müssen eine persönliche Bewertung der Situation der betroffenen Kinder beinhalten.
  • Die HFHR empfahl dem Ausschuss ferner, die Regierung aufzufordern, Statistiken über die Zahl der erwachsenen und minderjährigen Häftlinge in den bewachten Zentren vorzulegen.
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