EU-Beobachtung

HFHR Brief zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit bei der Ernennung von Richtern

In Polen bedrohen Rechtsverstöße im Verfahren zur Ernennung von Richtern, insbesondere in Zusammenhang mit einer parteiische Komplizenschaft von Exekutive und Legislative, die Menschenrechte und das gesamte Justizsystem.

by Polish Helsinki Foundation for Human Rights

♦ Die Helsinki Foundation for Human Rights hat dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Ástráðsson vs. Island einen Amicus-Curiae-Brief vorgelegt, der die Auswirkungen von Unregelmäßigkeiten bei der Ernennung von Richtern auf das Recht des Einzelnen auf ein faires Gerichtsverfahren betrifft. Dabei geht es um einen vor der Großen Kammer des EGMR anhängigen Fall, nachdem die isländische Regierung gegen das Urteil der Kammer vom März 2019 Berufung eingelegt hat.

♦ Die bevorstehende Entscheidung der Großen Kammer könnte nicht nur für Island, sondern auch für andere Mitgliedstaaten des Europarates, insbesondere Polen, von Bedeutung sein.

♦ Laut der HFHR zeigt die Krise in der polnischen Justiz, dass Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Ernennungsprozess der Richter, insbesondere solche, die unter Umständen auftreten, die auf eine parteiische Komplizenschaft von Exekutive und Legislative schließen lassen, eine klare und gegenwärtige Bedrohung für die Menschenrechte und das gesamte Rechtssystem des Landes darstellen.


Fehlerhaft ernannte Richter fällen rechtskräftige Urteile

Guðmundur Ástráðsson wurde durch ein isländisches Berufungsgerichts verurteilt, das von einem unrechtmäßig bestellten Richter geleitet wurde. Die Unrechtmäßigkeit resultierte aus der mangelhaften Ernennung von Justizmitarbeitern durch einen Regierungsminister, die von einem unabhängigen Sachverständigenausschuss als weniger leistungsfähige Kandidaten bewertet wurden. Außerdem hat das isländische Parlament eine einzige Abstimmung über alle Kandidaten durchgeführt, hätte aber über jeden Kandidaten einzeln abstimmen müssen. Zwei erfolglose Kandidaten verklagten Island und forderten eine Entschädigung für den durch die rechtswidrige Verletzung ihrer Rechte entstandenen materiellen und immateriellen Schaden. Der Fall wurde schließlich vom Obersten Gerichtshof Islands zu Gunsten der Kläger entschieden, es wurde festgestellt, dass das Ernennungsverfahren tatsächlich rechtswidrig war.

Die mangelhaft ernannten Richter urteilten jedoch weiterhin über Fälle, und einer von ihnen verurteilte den Kläger. Der Mann reichte eine Kassationsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof ein, in der er geltend machte, das Urteil sei von einem nicht ordnungsgemäß konstituierten Gericht getroffen worden, seine Beschwerde wurde jedoch zurückgewiesen. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass Mängel bei der richterlichen Berufung die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der mangelhaft bestellten Richter nicht beeinträchtigen. Das Gericht entschied, dass diese Rechtsmängel nicht zur Ungültigkeit der Handlungen der richterlichen Ernennungen führten, da die Richter mit der Ernennung des Präsidenten befähigt wurden, ihre richterliche Funktion aktiv auszuüben. Demzufolge gibt es nach Ansicht des isländischen Obersten Gerichtshofs keinen Grund, die Stellung der betreffenden Richter in Frage zu stellen.

EGMR stellt Verletzung fest

Herr Ástráðsson hat beim EGMR eine Klage eingereicht, in der er den Standpunkt vertritt, dass die nationalen Behörden gegen die in Artikel 6 Absatz 1 EMRK verankerte Garantie des Rechts auf ein ordentliches Gerichtsverfahren verstoßen haben. In dem Urteil der Kammer hat der EGMR im Sinne der Anklage entschieden. Der Straßburger Gerichtshof stellte fest, die bloße Tatsache, dass fehlerhafte Ernennungen nach innerstaatlichem Recht als wirksam angesehen wurden, bedeute nicht, dass nicht gegen Artikel 6 verstoßen wurde. Was zu beurteilen ist, ist nach Ansicht des Gerichtshofs, ob ein "flagranter Verstoß" gegen das innerstaatliche Recht vorliegt. Um eine solche Beurteilung vorzunehmen, muss man die Auswirkungen der verletzten nationalen Vorschriften und die Art der Verstöße der Regierung berücksichtigen. Wichtig ist auch die Frage, ob der Verstoß gegen die nationalen Vorschriften die Gefahr geschaffen hat, dass andere Behörden unangemessenen Druck auf das Ernennungsverfahren der Richter ausüben und damit den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens behindern. Bei der Anwendung des oben genannten Tests auf den Fall von Herrn Ástráðsson kam die Kammer zu dem Schluss, dass Artikel 6 Absatz 1 EMRK verletzt wurde. Das Urteil löste erhebliche Kontroversen aus, wie u.a. zwei abweichende Meinungen der Richter der Kammer belegen. Die Entscheidung wurde von der isländischen Regierung angefochten, die beantragte, den Fall an die Große Kammer zu verweisen, welche den Fall am 5. Januar 2020 in Straßburg verhandeln wird.

HFHR: Verstöße bei der Ernennung von Richtern untergraben das Recht auf ein Gerichtsverfahren.

Die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte legte einen Amicus-Curiae-Brief zu diesem Fall vor. In dem Schriftsatz stellt die Stiftung fest, dass Ástráðsson für andere Länder des Europarates, darunter Polen, wichtig ist. Die HFHR erinnert an die polnischen Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Wahlen und Ernennungen bestimmter Richter, wobei der Schwerpunkt auf den drei "Doppelrichtern" des Verfassungsgerichts und mehreren hundert Richtern liegt, die auf Vorschlag des Nationalen Justizrates, der sich aus Mitgliedern zusammensetzt, die nach dem im Dezember 2017 verabschiedeten Gesetz gewählt wurden, für den Obersten Gerichtshof und die ordentlichen Gerichte ernannt werden. Die Stiftung weist darauf hin, dass sich der Oberste Gerichtshof Polens bei der Entscheidung über die Rechtsstellung der Richter in seinen neu geschaffenen Kammern häufig auf das Ástráðsson-Urteil berufen hat. Das Urteil des EGMR wurde auch von "neuen" Richtern in ihren Versuchen, ihre Entscheidungsbefugnisse zu legitimieren, herangezogen.

Die Stiftung weist auch darauf hin, dass schwerwiegende Rechtsverstöße bei der Ernennung von Richtern, insbesondere Verstöße gegen Gesetze, die sicherstellen sollen, dass das Verfahren objektiv und frei von politischer Einflussnahme ist, sich negativ auf das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren auswirken können. Die korrekte Formulierung des Modells der richterlichen Ernennungen wird als ein Faktor anerkannt, der bei der Beurteilung der richterlichen Unabhängigkeit zu berücksichtigen ist. Dementsprechend kann ein Verstoß gegen die einschlägigen Gesetze auch die Wahrnehmung der richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigen. Ein Verfahrensbeteiligter kann berechtigterweise befürchten, dass ein aufgrund unrechtmäßiger Eingriffe von Exekutiv- oder Legislativorganen ernannter Richter möglicherweise nicht unparteiisch und unabhängig ist. Auch die Rechtssicherheit kann gefährdet sein, da Urteile, die unter Beteiligung von Richtern mit fragwürdiger Rechtsstellung ergangen sind, durch ordentliche oder außerordentliche Rechtsmittel angefochten werden können. Darüber hinaus müssen die Bürger in einem Rechtsstaat sicher sein, dass die Richter, die ihre Fälle verhandeln, rechtmäßig ernannt werden. Andernfalls kann die funktionale Legitimität der Justiz untergraben werden, was zu einem Rechtschaos führen kann. Die anhaltende Krise der polnischen Justiz ist ein weiterer Hinweis dafür, dass dieses pessimistische Szenario wahrscheinlich ist. Gleichzeitig weist die Stiftung darauf hin, dass es gefährlich ist, zu akzeptieren, dass Unregelmäßigkeiten bei der Ernennung der Richter irrelevant sind, solange sie nicht zur Ungültigkeit der Ernennungsakte führen. Eine solche Auslegung kann die Behörden dazu verleiten, das Ernennungsverfahren für parteipolitische Zwecke zu manipulieren, was sich negativ auf die Legitimität der Justiz auswirken und auch die Rechtsstaatlichkeit beeinträchtigen könnte.

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