Demokratie & Gerechtigkeit

Polen will Zivilgesellschaft über das Geld kontrollieren

Jetzt kontrolliert die Polnische Regierung auch die Finanzen der Zivilgesellschaft und kann so die Arbeit von Organisationen, die ihr in die Quere kommen, erheblich behindern.

by Jonathan Day

Jetzt, wo die Unabhängigkeit der Justiz gebrochen ist und die öffentlich-rechtlichen Medien unter ihrer Kontrolle stehen, nimmt die polnische Regierung ihr nächstes Ziel ins Visier: die Zivilgesellschaft. Das ist ein zutiefst beunruhigender Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit: Wir brauchen unabhängige Gerichte, um sicherzustellen, dass die Regierung im Rahmen des Gesetzes handelt. Wir brauchen unabhängige Medien, um sicherzustellen, dass die Regierung die Bevölkerung nicht einer Gehirnwäsche unterzieht. Und wir brauchen NGOs, damit die Bürgerinnen und Bürger mit den Politikern in Kontakt treten und sie zur Rechenschaft ziehen können.

Mit einem am 16. Oktober in Kraft getreteen Gesetz, kontrolliert die PiS-Regierung jetzt, wie öffentliche Gelder an Nichtregierungsorganisationen verteilt werden. Ein neues Gremium, das Nationale Freiheitsinstitut – Zentrum für die Entwicklung der Zivilgesellschaft, soll ab sofort darüber entscheiden, welche NGOs öffentliche Gelder erhalten. Obwohl das Institut von einem Direktorium geleitet wird, werden Vertreter von Nichtregierungsorganisationen nur eine Minderheit dieses Gremiums bilden, die Mehrheit wird von der Regierung ernannt. NGO-Vertreter wären daher nicht in der Lage, Entscheidungen der von der PiS ernannten Mehrheit zu blockieren.

Darüber hinaus wird das Büro des Premierministers den Direktor (bzw. die Direktorin) des Instituts ernennen, der über eine enorme Entscheidungsbefugnis verfügt. Da die Regeln für Finanzierungs-Wettbewerbe und Auswahlverfahren in dem Gesetz nicht explizit festgelegt sind, hat der Direktor in diesem Bereich einen immensen Ermessensspielraum. Das Gesetz erlaubt es ihm auch, öffentliche Aufgaben an bestimmte NGOs zu delegieren. Dies hat zur Folge, dass der Direktor nahezu uneingeschränkt kontrolliert, wie öffentliche Gelder in diesem Bereich verteilt werden.

Politisierung der Finanzierung der Zivilgesellschaft

Bisher wurden die Mittel über ein dezentrales System verteilt: Unabhängige Organisationen sollten festlegen, wie öffentliche Gelder aus der EU und den EWR/Norwegen-Zuschüssen verteilt werden. (Letztere sind Mittel, die Island, Liechtenstein und Norwegen für die Stärkung europäischer Grundwerte wie Demokratie, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit, im Austausch für den Zugang, den diese Länder zum EU-Binnenmarkt erhalten, zur Verfügung stellen. Dieser Prozess war transparent und er war nicht politisch. Im Rahmen des Nationalen Freiheitsinstituts werden die Mittel jetzt "unabhängig oder im Zuge eines offenen Aufrufs, Vorschlägen einzureichen" vergeben. Warum es zwei Methoden gibt und was "unabhängig" wirklich bedeutet, bleibt nebulös. Aber, wie um auch die letzten Zweifel an den Absichten der Regierung auszuräumen, sagte PiS Senator Andrzej Bobko, die Regierung könne öffentliche Gelder genauso wenig verwenden, um eine Organisation zu unterstützen, die ihre Aufgabe darin sehe, die Theorie einer flachen Erde zu verbreiten, wie diese Gelder nicht dafür verwenden könne, Organisationen zu unterstützen, die "schädliche Theorien über Sexualität" verbreiten. Gemeint sind damit natürlikch LGBTI-Organisationen.

Das Kapern von NGO-Mitteln durch die Regierung könnte gerade in Polen besonders viel Schaden anrichten, denn in dem Land ist die Zivilgesellschaft sowohl riesig - es gibt dort etwa 100.000 registrierte NGOs - als auch enorm wichtig: NGOs verwalten etwa 8% des Bildungssystems sowie fast alle Obdachlosenunterkünfte und Sportvereine. Ganz zu schweigen von der kritischen Arbeit, die sie leisten, um die Rechte von Frauen, Minderheiten und anderen Randgruppen zu schützen und um die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.

Zur Durchführung dieser Arbeit erhalten polnische NGOs jährlich rund eine Milliarde Euro an öffentlichen Geldern, entweder von der Regierung oder von lokalen Verwaltungen. Kulturminister Piotr Glinski sagte, das neue Institut sei notwendig, um "die Bedürfnisse von NGOs, insbesondere von kleineren, lokalen NGOs, die bisher keine ausreichende Unterstützung erhalten haben, zu berücksichtigen". Das klingt edel, aber in der Tat ist die überwiegende Mehrheit der kleineren lokalen NGOs in Polen direkt an die katholische Kirche gebunden, während die größten und angesehensten Organisationen, wie das Liberties Mitglied The Helsinki Foundation for Human Rights, sich mit Themen befassen, die von der regierenden PiS nicht unterstützt werden, wie Migration und LGBTI-Rechte. Der Regierung die Kontrolle über den Zugang dieser Organisationen zu öffentlichen Geldern zu überlassen, würde ihr erlauben, Geld an Gruppen umzuleiten, die an ihr genehmen Themen arbeiten und andere, unbequemere Gruppen, zu vernachlässigen.

Verleumdungskampagne

Die Anti-NGO-Kampagne der polnischen Regierung wird von staatsfreundlichen Medien unterstützt. Der wichtigste öffentliche Nachrichtendienst des Landes, TVP 1 (bei dem sich Beobachter einig sind, dass er seit der Machtübernahme der PiS stark parteiisch geworden ist), strahlte im Oktober 2016 mindestens sieben Sendungen über NGOs aus. In den Beiträgen wurden zivilgesellschaftliche Gruppen als Kriminelle dargestellt und es wurde behauptet, dass bis zu 10 prominente polnische NGOs ihre Gelder durch Betrug und Korruption erhalten. Keine der in den Sendung aufgestellten Behauptungen, wurde durch irgendwelche Beweise gestützt. Stattdessen wurden die NGOs in reißerischen Grafiken als mafiöse Gruppen dargestellt, die sich an dem Geld der Steuerzahler bereichern und ihre Marschbefehle von George Soros erhalten.

Die Regierung hat auch die Polizeikräfte des Landes in ihr Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft einbezogen. Im vergangenen Monat hat sie die Büros von zwei Frauenrechtsgruppen, die an Massenprotesten gegen die restriktive Abtreibungspolitik des Landes teilgenommen hatten, von der Polizei überfallen lassen. Computer und Dokumente, die für ihre Arbeit entscheidend sind, wurden beschlagnahmt. Das Women’s Rights Centre, eine der beiden von den Razzien betroffenen Gruppen, sieht das Ereignis "als Vorwand, oder aber als Warnsignal, sich nicht an Aktivitäten zu beteiligen, die nicht im Einklang mit der Regierungspartei stehen".

Besonders gefährlich wird es, wenn die Medien eingesetzt werden, um NGOs zu verleumden, wenn diese die Menschen dazu aufrufen, sich "zur Wehr zu setzen", denn das führt nicht selten zu Gewalt. Tatsächlich gehen physische Angriffe gegen NGOs häufig mit Verleumdungskampagnen der Regierung einher. Anfang 2016 wurden die Büros von zwei LGBTI-Rechtsgruppen aufgebrochen und die Ermittlungen wurde schnell eingestellt, weil die Behörden behaupteten, es sei unmöglich, die Angreifer zu identifizieren. Im Juni dieses Jahres plünderten unbekannte Täter in Poznań das Büro der Stonewall Group, einer LGBTI-Rechtsorganisation.

Wie in Ungarn gelernt

Der Versuch Polens, die Finanzierung unabhängiger NGOs zu kontrollieren, ist nicht ohne Präzedenzfall. Im Jahr 2014 startete die ungarische Regierung eine gegen NGOs und die norwegische Regierung gerichtete Verleumdungskampagne und beschuldigte die norwegische Regierung, mit den Norwegen/EWR-Zuschüssen die Politik in Ungarn beeinflussen zu wollen. Im September überfiel die Polizei die Büros von Ökotárs und DemNet, zwei Nichtregierungsorganisationen, die für die Verteilung der Norway-Grants zuständig sind. Auch die Privatwohnungen ihrer Mitarbeiter wurden durchsucht, allesamt unter dem Deckmantel von Ermittlungen wegen "betrügerischem Missmanagement von Geldern".

Die Regierung lieferte keine glaubwürdigen Beweise, um ihre Anklage zu untermauern, und die Ermittlungen schienen im Vorfeld des nationalen Referendums über Migrantenquoten eingeschlafen zu sein. Die Regierung erneuerte ihre Angriffe auf NGOs, schuf ein neues Gremium zur Verteilung der Gelder und verabschiedete im Juni dieses Jahres ein Gesetz, das von NGOs, die ausländische Gelder erhalten, verlangt, dass sie sich als "ausländische Agenten" registrieren lassen.

Was noch?

Es ist noch zu früh, um zu sagen wie stark der neue Prozess die Arbeit der NGOs behindern wird, insbesondere derjenigen, die sich mit Migration, Frauen- und Minderheitenrechten und LGBTI-Themen befassen. Mitte Oktober haben Vertreter Norwegens und Polens eine Vereinbarung bekannt gegeben, durch die EWR-Gelder weiterhin in das Land fließen können. Es ist jedoch unklar, welche Stelle für die Verteilung dieses Geldes zuständig sein wird. Es ist unwahrscheinlich, dass die Batory Foundation diese Funktion weiter innehaben wird.

Trotz dieser Ungewissheit ist so viel bereits klar: Die polnische Regierung hat ein unsicheres Umfeld für NGOs geschaffen. Kirchliche Gruppen und solche, die Arbeit leisten, die der Regierung genehm ist, werden bevorzugt, während Frauen- und LGBTI-Rechtsgruppen Kürzungen bei der Finanzierung und eine genauere Überprüfung ihrer Arbeit erleben werden. Die PiS-Regierung hat nun fast die volle Kontrolle über Justiz, die Medien und die Zivilgesellschaft – und damit über die drei wichtigsten kritischen Bollwerke gegen Autoritarismus. Das ist eine Situation, die in der Europäischen Union nicht toleriert werden darf. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die EU gegen diesen Demokratieabbau zur Wehr setzt, sonst besteht die Gefahr, dass so etwas zur Normalität wird.

Aber das polnische Volk sollte nicht auf Brüssel warten, um sich gegen die neuen Gesetze zu wehren. Öffentliche Demonstrationen haben die PiS-Agenda in diesem Jahr bereits mehrfach durchkreuzt. Etwa als tagelange Massenproteste in Städten im ganzen Land Präsident Andrzej Duda dazu gezwungen haben,gegen zwei umstrittene Reformen des Justizwesens ein Veto einzulegen. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Öffentlichkeit nachhaltig Druck ausübt, um Polens unabhängige Zivilgesellschaft zu retten. Es ist jetzt auch besonders wichtig, dass die Menschen die NGOs durch Freiwilligenarbeit und private Spenden unterstützen - jedes bisschen hilft, und jedes bisschen hilft den NGOs, dem finanziellen Druck standzuhalten. Und schließlich kann die EU jetzt etwas tun, ohne sich direkt mit Warschau anzulegen: Sie kann zur Unterstützung von NGOs, die innerhalb der Union tätig sind eine Europäische Stiftung für Demokratie einrichten.

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