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Die Rechtsstaatlichkeit: Warum die Europäische Kommission Polen unter Beobachtung stellt

Aus Sorge, die polnische Regierung könnte ihre Macht missbrauchen, hat die Kommission das Framework zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit aktiviert Finde heraus was da los ist und was daraus folgen kann

by Israel Butler

Die Regierungen, welche die Europäische Union gegründet haben oder ihr beigetreten sind, haben sich alle damit einverstanden erklärt, dass man als Mitglied der EU gewisse Werte achten und schützen muss. Dazu gehören Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Menschenrechte. Von jedem Land das beitreten möchte wird verlangt, diese Werte zu schützen.

Zu den Aufgaben der Europäischen Kommission gehört es, dafür zu sorgen, dass sich die Regierungen der EU an diese Werte halten. Die Kommission macht sich Sorgen, ob die Änderungen, die Polens neue Regierung in Bezug auf das Verfassungsgericht und die öffentlichen Medien macht, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit untergraben.

Was bedeutet Rechtsstaatlichkeit?

Rechtsstaatlichkeit bezieht sich auf eine Reihe von Prinzipien, die dazu dienen sollen eine Regierung daran zu hindern, ihre Macht zu missbrauchen. Unter anderem fordert das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit von Regierungen, innerhalb des Rahmens des Gesetzes zu handeln, insbesondere der nationalen Verfassung aber auch unter Berücksichtigung internationaler Menschenrechtsstandards. Die meisten Länder der EU haben ein Verfassungsgericht (oder Tribunal), dessen Aufgabe darin besteht, zu prüfen ob die von der jeweiligen Regierung erlassenen Gesetze mit der Verfassung konform sind.

Damit ein Verfassungsgericht die Verfassung schützen kann, müssen die Richter dieses Gerichtes unabhängig und unparteiisch sein. Das bedeutet, sie müssen neutral sein und dürfen nicht von Politikern beeinflusst werden.

Wenn eine Regierung die Verfassung verletzt, kann die Situation erst in Ordnung gebracht werden wenn das Verfassungsgericht eine Entscheidung getroffen hat. Um also sicherzustellen, dass die Verfassung geschützt ist, muss ein Verfassungsgericht in der Lage sein, relativ schnell Entscheidungen zu fällen. Ist ein Gericht langsam, kann es mehrere Jahre dauern, bis Verletzungen der Verfassung behoben werden. Bis dahin wäre die Regierung in der Lage, illegal zu handeln.

Rechtsstaatlichkeit bedeutet auch, dass Regierungen Gesetze durch einen demokratischen Prozess und nach dem Willen des Volkes erlassen müssen. Eine gut funktionierende Demokratie braucht eine Öffentlichkeit, die Zugang hat zu ausgewogenen und akkuraten Informationen und zwar durch Medien, die frei sind von Beeinflussungen durch die Politik.

Was hat das mit Polen zu tun?

Die Kommission ist aus zwei Gründen über die Situation in Polen besorgt.

Erstens, die Änderungen in Bezug auf das Verfassungstribunal. Die neue Regierung hat mehr Richter in das Verfassungsgericht berufen als sie dürfte, nämlich fünf anstatt zwei. Die Regierung weigert sich, eine Entscheidung des Verfassungsgerichts umzusetzen, in der dieses klarstellt, dass die jetzige Regierung drei der von der vorherigen Regierung ernannten Richter anerkennen muss und nur zwei der Richter die sie selbst wählte ernennen darf.

Wenn die Regierung das Gericht ignorieren kann, dann kann das Gericht seiner Aufgabe, nämlich sicherzustellen, dass sich die Regierung an den Rahmen der Verfassung hält, nicht nachkommen. Das bedeutet, dass das Verfassungsgericht nicht in der Lage wäre, die Regierung daran zu hindern, Gesetze zu erlassen, welche die in der Verfassung geschützten Menschenrechte verletzen.

Die neue Regierung hat auch die Regeln verändert, nach denen das Verfassungsgericht arbeitet. Durch diese Änderungen kann das Gericht nur noch bedeutend langsamer über seine Fälle entscheiden.Wenn die Regierung also etwas Illegales unternimmt, würde es jetzt mehrere Jahre dauern, bis das Verfassungsgericht die Dinge wieder in Ordnung bringen kann.

Zweitens, die Kommission macht sich Sorgen, dass die Änderungen, welche die neue Regierung bei den öffentlichen Rundfunkanstalten vorgenommen hat, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Information beeinträchtigen könnten. Die Änderungen geben der Regierung die Kontrolle über die Ernennung der Intendanten der öffentlichen Medien und die Mitglieder des Medienrats.

Was passiert jetzt?

Die Kommission hat in Bezug auf Polen das Framework (die 'Rahmenvorschriften') zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit aktiviert. Das Framework führt zu keinerlei Sanktionen. Es ermächtigt die Kommission also nicht, eine Geldstrafe gegen die Regierung zu erlassen, EU-Gelder zu streichen oder das Recht in der EU abzustimmen aufzuheben. Das Framework zielt darauf ab, der Kommission und der Regierung zu erlauben, ins Gespräch zu kommen und eine Lösung auszuhandeln.

Die Kommission kann das Framework aktivieren wenn sie der Auffassung ist, dass eine 'systemische' Bedrohung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Staat vorliegt. Mit 'systemische' Bedrohung bezeichnet die Kommission hier eine Situation, in der nationale Gerichte, wie etwa das polnische Verfassungstribunal, nicht mehr in der Lage sind sicherzustellen, dass die Regierung im Rahmen des Gesetzes handelt.

Wenn sich eine Regierung weigert, eine Entscheidung des Gerichts umzusetzen, in die Unabhängigkeit der Richter eingreift, oder die Arbeit des Gerichtes verlangsamt, macht sie es den Gerichten dadurch sehr schwierig zu prüfen ob die Regierung Rechtskonform handelt.

Das Framework hat drei Stufen. Die erste Stufe hat bereits begonnen. Die Kommission hat der Regierung erklärt, warum sie wegen des Verfassungstribunals besorgt ist. Die Kommission erwartet von der polnischen Regierung eine Erklärung was sie aus welchem Grund getan hat und welchen Einfluss dies auf die Rechtsstaatlichkeit haben wird. Obwohl die Kommission ihre eigenen Experten hat, welche die Situation analysieren, wird sie auch auf Informationen und Expertisen aus anderen Quellen zurückgreifen.

Die Kommission wird insbesondere auf die Expertise der Venedig-Kommission zurückgreifen, die Teil des Europarats ist. Die Venedig-Kommission ist ein unabhängiger Expertenrat, der Staaten verfassungsrechtlich berät und überprüft, ob diese die Rechtsstaatlichkeit achten.

Auf der Basis von Gesprächen mit der polnischen Regierung und der Situationsanalyse der Kommission, kann die Kommission sich entweder dazu entscheiden die Untersuchung abzuschließen, oder aber zur zweiten Stufe des Frameworks weiterzugehen. Wahrscheinlich wird die Kommission im März 2016 entscheiden, was als nächstes zu tun ist.

Wie geht es weiter?

Es gibt drei Möglichkeiten:

  • Es ist möglich, dass die Kommission am Ende der Konversation mit der polnischen Regierung entscheidet, dass die Änderungen am Verfassungstribunal und den öffentlichen Medien der Rechtsstaatlichkeit nicht schaden.Die Kommission könnte die Situation weiterhin beobachten, würde aber Polen nicht auffordern, Änderungen vorzunehmen und der Prozess wäre formal beendet.
  • Ein alternatives Szenario wäre, dass sich die polnische Regierung während der Gespräche dazu bereit erklärt, die Dinge informell wieder in ihren früheren Zustand zurückzuversetzen bzw. kleinere von der Kommission verlangte Änderungen vorzunehmen. Das wäre wahrscheinlich das Ende des Prozesses.
  • Die dritte Möglichkeit träfe ein, wenn die Kommission wenig überzeugt wäre von der Erklärung der Regierung, warum die Änderungen in Bezug auf das Verfassungsgericht und die öffentlichen Medien akzeptabel sind und deshalb formal feststellt, dass die Rechtsstaatlichkeit beschädigt wurde. Sollte es dazu kommen, wäre es wahrscheinlich, dass die Kommission zur zweiten Stufe des Frameworks weitergeht, was bedeuten würde, dass sie der Regierung Empfehlungen ausspräche, was sie tun muss, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Die Regierung wird dann Zeit bekommen und ihr würde Hilfe angeboten, um diese Vorschläge umzusetzen.

In der letzten Stufe des Frameworks würde die Kommission sich ansehen, ob die polnische Regierung die Empfehlungen ordentlich umgesetzt hat. Setzt die Regierung die Empfehlungen der Kommission nicht um, kann sich die Kommission dazu entscheiden, eine andere Prozedur einzuleiten, die zu Sanktionen führen kann.

Diese Prozedur, die bisher noch nie zur Anwendung kam, wird in Artikel 7 des Vertrags der Europäischen Union beschrieben.
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