Demokratie & Gerechtigkeit

Mittelmeer-Überlebende werfen Italien schwere Menschenrechtsverletzungen vor

Siebzehn Männer und Frauen, die im vergangenen November einen Schiffbruch überlebt haben, klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie werfen der italienischen Regierung Mitschuld an Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen vor.

by Flaminia Delle Cese

Das Schiffsunglück

Am 6. November 2017 kamen mindestens 20 Menschen, darunter zwei Kinder, bei einem Schiffbruch im Mittelmeer ums Leben.

An diesem Morgen informierte das italienische Maritime Rescue Coordination Centre (IMRCC) die deutsche humanitäre Organisation Sea-Watch, dass ein Boot Probleme in internationalen Gewässern habe. Das Boot war einige Stunden zuvor mit 130 bis 150 Passagieren an Bord von Lybien aus in See gestochen.

Als die Crew von Sea-Watch eintraf, sank das Boot und Dutzende von Migranten befanden sich bereits im Wasser. Sea-Watch startete daher die Rettungsaktionen. Gleichzeitig forderte ein Schiff der libyschen Küstenwache, das bereits vor Ort war, die NRO auf, sich zu entfernen.

Einige der Schiffbrüchigen schafften es, das Sea-Watch-Boot zu erreichen, andere wurden an Bord des libyschen Schiffes gezogen. Dieses Schiff war einige Monate zuvor entsprechend eines im Februar 2017 unterzeichneten Kooperationsvertragsvon der italienischen Regierung an Libyen gespendet worden.

Am Ende konnte Sea-Watch 59 Menschen retten und 47 Migranten wurden nach Libyen zurückgebracht. Dort wurden sie inhaftiert und schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Zwei Menschen wurden sogar als Sklaven verkauft und gefoltert, und ihre Familien wurden aufgefordert, ein Lösegeld für ihre Freilassung zu zahlen.

Der Fall in Straßburg

Siebzehn der Überlebenden des Schiffbruchs - alle Nigerianer, darunter zwei Eltern, deren Kinder bei der Katastrophe ums Leben kamen, haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen Italien eingereicht.

In der Klage werfen sie der italienischen Regierung vor, ihr Leben gefährdet zu haben, indem sie Libyen mit der Durchführung der Rettungsaktionen beauftragt und sie so"indirekt zurückgedrängt" hat, was gegen die Europäische Menschenrechtskonventionverstößt.

Der Antrag wurde dank des Global Legal Action Network (Glan) und der Association for Juridical Studies on Immigration (Asgi) mit Unterstützung der italienischen gemeinnützigen Organisation ARCI und der Lowenstein International Human Rights Clinic der Yale Law School eingereicht.

Die Klageschrift stützt sich auf Beweise, die von Forensic Oceanography, einem Teil der Agentur Forensic Architecturemit Sitz in Goldsmiths, University of London, zusammengestellt wurden und die eine detaillierte Rekonstruktion des Vorfallsermöglichten.

Verstöße

Laut Loredana Leo, einer Anwältin von Asgi, kann Italien für die Verletzung des Rechts auf Leben verantwortlich gemacht werden, da sich alle am Schiffbruch Beteiligten in einer Situation des potenziellen oder tatsächlichen Verlustes von Menschenleben befanden.

Außerdem habe Italien gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, der Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung verbietet. Dieser Verstoß ist bei den 47 Migranten, die nach Libyen zurückgebracht wurden, offensichtlich, was auch einen Verstoß gegen das Verbot der Kollektivausweisung bedeutet.

Leo betont, dass die Migranten, die an Bord des libyschen Schiffes gegangen sind, bei ihrer Ankunft in Libyen schwere körperliche Misshandlungen erlitten haben: Die italienischen Behörden müssen davon Kenntnis gehabt haben, da sowohl internationale Nachrichtenberichte als auch die UNOauf die Lage in Libyenaufmerksam gemacht haben.

Externalisierung von Menschenrechtsverletzungen

Forensic Oceanography hat 16 verschiedene Vorfälle analysiert, in denen Italien mit Unterstützung der Europäischen Union Einsätze der libyschen Küstenwache koordiniert hat und Anweisungen gab, Migranten abzufangen und nach Libyen zurückzubringen.

Laut Charles Heller, Mitbegründer von Forensic Oceanography, stehtder Schiffbruch vom 6. Novemberexemplarisch für die Politik Italiens und der Europäischen Union, Libyen mit der Grenzkontrolle zu betrauen.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) haben libysche Behörden allein im Jahr 2017 mehr als 20.000 Migranten im Mittelmeer abgefangen. Sie wurden an die nordafrikanische Küste zurückgebracht und dort in Lagern interniert.

Nach Ansicht der Klägerinnen ist Italien für die indirekte Zurückweisung ("via proxy") verantwortlich. Italien hat nicht nur die Einsätze der libyschen Küstenwache koordiniert, die Migranten zurück an die libysche Küste brachte, sondern stellte der libyschen Küstenwache zu diesem Zweck auch Boote und Ausbildungzur Verfügung.

Violeta Moreno-Lax vom Global Legal Action Network, einer gemeinnützigen Organisation, die rechtliche Schritte gegen Staaten und andere mächtige Akteure unternimmt, wenn diese an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, erklärte, dass Italien mittels seiner finanziellen und rechtlichen Unterstützung eine wirksame Kontrolle über die libysche Küstenwache ausgeübt habe. Dadurch fällt die Verantwortung für die Geschehnisse im Mittelmeerraum direkt auf die italienische Regierung zurück.

Bereits 2012 verurteilte das Straßburger Gericht Italien, weil es eine Gruppe eritreischer und somalischer Bürger nach Libyen zurückgedrängt hatte, wo sie Gefahr liefen, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte muss jetzt entscheiden, ob der Antrag der Überlebenden des Schiffbruchs zulässig ist. Giorgia Linardi, eine Sprecherin von Sea-Watch, sagte, dass unabhängig davon, was das Gericht entscheidet, die Einreichung der Klageschrift an sich ein sehr wichtiger Schritt sei.

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