EU-Beobachtung

Änderungen im italienischen Strafrecht beeinträchtigen Recht auf ein faires Verfahren

Italien hat eine Reihe von Änderungen in der Verwaltung der Gerichte eingeführt, die unter anderem Vertagung und Videoverbindungen betreffen. Diese Änderungen wirken sich nachteilig auf Angeklagte und Inhaftierte aus und müssen streng befristet sein.

by Italian Coalition for Civil Liberties and Rights
The Supreme Court in Rome

Die Coronavirus-Pandemie bedeutet eine schwere Probe für Artikel 111 der italienischen Verfassung, nach dem "... die Gerichtsbarkeit durch ein ordentliches, gesetzlich geregeltes Verfahren ausgeübt wird ...", gleiches gilt für Artikel 27 der Verfassung, nach dem Strafen die Würde der Person respektieren müssen, und zwar Angefangen bei dem Grundrecht auf Gesundheit. Derzeit ist jedoch das Recht auf Gesundheit sowohl für die Gefangenen als auch für diejenigen, die in den Gefängnissen arbeiten, durch Überbelegung gefährdet.

Italienische Regierung schränkt die Möglichkeiten der Rechtspflege ein

Die Regeln der Justizverwaltung wurden angepasst, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. So wurden beispielsweise der öffentliche Zugang zu Gerichtsregistern und die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen eingeschränkt. Solche Einschränkungen müssen verhältnismäßig und vorübergehend sein und sie sind nur dann zulässig, wenn sie wirksam dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die getroffenen Maßnahmen dürfen keine nachteiligen Auswirkungen auf die Angeklagten, ihr Recht auf ein faires Verfahren (das in einem vollständigen kontradiktorischen Verfahren abzuhalten ist), das ordnungsgemäße Funktionieren der Justiz oder ganz allgemein auf Bürger haben, die sich mit der Justiz auseinandersetzen müssen.

Seit Beginn der Pandemie hat die italienische Regierung mehrmals im Bereich der Justiz interveniert. Diese Interventionen müssen publik gemacht werden, wobei auf die Gefahren hingewiesen werden muss, die mit dem Rückgriff auf gesetzliche Notverordnungen und der zunehmenden Herausgabe von Dienstanweisungen, ministeriellen Rundschreiben und lokalen Protokollen verbunden sind. Im Laufe der Zeit könnten diese Maßnahmen dazu führen, dass der Zugang zu verfassungsmäßigen Garantien, die Angeklagten und Verurteilten gewährt werden, nach und nach eingeschränkt wird und dass Bürger, die Zugang zur Justiz suchen, weniger Zugang erhalten.

Das Dekret Nr. 18 vom 17. März 2020 wurde erlassen, um die Rechtspflege während des Notstands zu regeln. Mit Artikel 83 dieses Erlasses wurden neue Dringlichkeitsmaßnahmen zur Bekämpfung des Virus und zur Eindämmung seiner Auswirkungen im Bereich der Zivil-, Straf-, Steuer- und Militärjustiz eingeführt. Einige der darin eingeführten Änderungen sind aus verfassungsrechtlicher Sicht fragwürdig.

Strafverfahren vertagt, aber Abschiebungsverfahren laufen weiter

Konkret sah Artikel 83 des Dekrets vor, dass vom 9. März bis zum 15. April 2020 die in allen Justizbehörden anhängigen Anhörungen in Zivil- und Strafverfahren automatisch aufgeschoben werden (abgesehen von obligatorischen Ausnahmen). Darüber hinaus wurden während desselben Zeitraums die Fristen für den Abschluss aller Rechtshandlungen (einschließlich Berufungen) in Zivil- und Strafverfahren ausgesetzt. In ähnlicher Weise sieht Artikel 84 des Erlasses die Verschiebung von Anhörungen und die Aussetzung der Fristen in Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit vor.

Es stellt sich die Frage, warum bestimmte Ausnahmen von diesen Verschiebungen gemacht wurden, darunter z.B. Anhörungen zur Bestätigung von Administrativhaftmaßnahmen von Nicht-EU-Bürgern. Das bedeutet, dass solche Anhörungen immer noch stattfinden, obwohl es unmöglich ist, Menschen auszuweisen, und die Ansteckungsgefahr in Administrativhaftanstalten erhöht ist. Weitere Vorschriften schränken die Öffentlichkeit der Anhörungen und die Teilnahme der Verfahrensparteien an den Anhörungen ein, was einen möglichen Verstoß gegen die Bestimmungen von Artikel 111 der Verfassung und Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt.

Das Dekret legte auch fest, dass alle öffentlichen Anhörungen in Straf- und Zivilsachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollen. Dies ist eine vom gesunden Menschenverstand diktierte Regel, die die verfassungsmäßigen Garantien des Bürgers nicht berührt, sofern sie über einen längeren Zeitraum nicht angewandt wird. Ebenso erscheint es legitim, dass die Beteiligung der Angeklagten nach Möglichkeit durch Videokonferenzen oder Fernverbindungen sichergestellt wird.

Dieser Zugang zueinander muss auch für Angeklagte und Rechtsanwälte möglich sein und die Änderungen müssen befristet sein.

Die Strafkammern befürchten, dass Regulierungspraktiken, welche die Bedeutung der Anwesenheit der Parteien vor Gericht herabsetzen, eingeführt werden und zur Norm werden. Wenn aus dem Erlass ein Gesetz wird (oder wenn die Durchführungsprotokolle verabschiedet werden), muss klargestellt werden, dass die Fernteilnahme an unaufschiebbaren Anhörungen nur vorübergehend eingeführt werden darf. Bei der Anwendung dieser Maßnahmen sollte von Fall zu Fall sorgfältig geprüft werden, ob Videokonferenzanlagen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren ausreichend garantieren. So ist es zum Beispiel von grundlegender Bedeutung sicherzustellen, dass Angeklagte vertrauliche Gespräche mit ihrem Verteidiger führen können, was nicht immer möglich sein wird, wenn der Angeklagte und sein Anwalt sich nicht persönlich treffen können.

Auch die ebenfalls im Dekret vorgesehenen Änderungen in der Regelung der justiziellen Benachrichtigung gefährden das Recht der Menschen auf ein faires Verfahren. Das Dekret sieht den Einsatz von Einweg-Telematiksystemen vor, die es den Justizbehörden ermöglichen, jede Art von Mitteilung "gegenüber" Anwälten auszustellen. Rechtsanwälten ist es jedoch nicht gestattet, von einem solchen System zu profitieren. Das Observatorium der Strafkammern hat bereits zahlreiche Beispiele angeprangert, in denen Rechtsanwälte daran gehindert wurden, telematische gerichtliche Bescheide auszustellen, sowie Probleme im Zusammenhang mit der Mitteilung von Untersuchungshaftanordnungen aufgetreten sind.

Gefangene sollten aus gesundheitlichen Gründen entlassen werden können

Weitere Aufmerksamkeit sollte den Bestimmungen des Dekrets geschenkt werden, die es der Aufsichtsgerichtsbarkeit erlauben, die vorzeitige Entlassung aus der Haft und das Freigangs-Regime auszusetzen. Diese Bestimmung steht im Widerspruch zu den Verfassungsgrundsätzen und insbesondere zu Artikel 27 der Verfassung, der implizit die Gesundheit der Häftlinge schützt, denen es auch erlaubt sein muss, selbst eine Quarantäne durchzuführen, die in den Gefängnissen aus offensichtlichen Gründen nicht garantiert werden kann.

Schließlich sind die Vorschriften, die eine ungerechtfertigte Aussetzung der Verjährungsfrist vorsehen von zweifelhafter verfassungsrechtlicher Legitimität, da es keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen diesen Vorschriften und dem Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit gibt und weil sie den Status der Angeklagten stark beeinträchtigen.

Letztlich muss insbesondere bei Strafverfahren anerkannt werden, dass einige dieser Bestimmungen erhebliche Auswirkungen auf das Recht auf ein faires Verfahren haben, wie z.B. die angemessene Dauer des Verfahrens, der Zugang zu einem Anwalt, die effektive Teilnahme am Verfahren, die öffentliche Kenntnis der Anhörung, das Recht auf Anwesenheit bei der Anhörung, die Vorbereitung der Verteidigung und das Recht auf eine rasche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft.

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